Liebe Kollegen,
heute kommt mal ein botanischer Beitrag von mir :D
Angeregt wurde mein Beitrag durch den interessanten Phloem-Vortrag von Detlef auf der Kornrade9 (nochmals ganz herzlichen Dank an Detlef und Wolfgang für die tolle Organisation !).
Der Schnitt stammt von Robin Wacker (W3A Färbung) und zeigt einen Befall einer Brennessel mit einem Schmarotzer, der 'Seide' oder auch 'Teufelszwirn' (Cuscuta) genannt.
Früher stellte man die Art in eine eigene Familie Seidengewächse (Cuscutaceae). Nach der Systematik der ,,Angiosperm Phylogeny Group" wird Cuscuta nun innerhalb der Windengewächse (Convolvulaceae) geführt. Neuere Untersuchungen mit Hilfe molekulargenetischer Methoden bestätigen diese Klassifizierung. Cuscuta ist die einzige parasitische Gattung in der Familie der Windengewächse.
Die Seide ist ein Vollschmarotzer, bei dem sich die Blätter weitestgehend (kleinste Schuppen) und die Wurzel vollständig zurückentwickelt haben.
Allerdings entwickelt die in der Regel einjährige Pflanze recht schöne Blüten, die auf dem nachfolgenden Foto aus Wikipedia zu sehen sind.
Die Photosynthese in der Pflanze ist weitgehend reduziert und reicht zur Eigenversorgung nicht aus.
Die verschiedenen Arten der Gattung verursachen in Kulturanpflanzungen weltweit bisweilen beträchtliche Schäden. Die Seide befällt eine Reihe von Wirtspflanzen, ist also nicht besonders wirtsspezifisch.
(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures002/95377_40223139.jpg)
Aus den Samen entwickelt sich der Keimling der innerhalb weniger Tage seine Wirtspflanze finden muss, sonst stirbt er ab.
Die vegetative Pflanze besteht somit im Wesentlichen aus einem bis zu ca. 100 cm langen, nur wenige mm dicken grünlich bis rötlichen Spross, der sich aufwärtswindend um die Wirtspflanze wickelt und dabei viele Saugröhren (Haustorien) tief in die Leitbündel der Wirtspflanzen treibt und sich dadurch ernährt.
Papain-ähnliche Cystein-Proteasen sind Enzyme die bei der Invasion identifiziert wurden. Diese bewirken offenbar gewebeverändernde Genmodulationen bei der Wirtspflanze und stellen auf der Wirtsseite Voraussetzungen zum Eindringen des Schmarotzers dar.
Alle folgenden Bilder von mir am Leitz Orthoplan mit der Moticam 2300 und PL APO Objektiven von 6,3 - 63x
Bild 1 zeigt eine Übersicht der Situation: Die Seide schmiegt sich aussen dem quergeschnittenen Nesselstängel an und ist aufgrund ihrer spiraligen Windung schräg angeschnitten.
Man sieht auf der Übersicht ein ideal getroffenes Haustorium sowie mehrere angeschnittene Haustorien aus den Ebenen über und unter der Schnittebene.
Das Haustorium reicht bis an die Grenze Phloem / Xylem der Nessel, Details dazu folgen weiter unten.
(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures002/95377_38535993.jpg)
Bild 2 zeigt zum Vergleich noch eine ungestörte Stelle des Nesselstängels mit intaktem Phloem und Xylem.
(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures002/95377_36471846.jpg)
Bild 3 bis 6 zeigen Details des Haustoriums. Wie ich sehen kann hat das Haustorium zentrale, rotgefärbte und spiralige Tracheen die bis zum Xylem der Nessel reichen und so offenbar den Wasser- und Mineralstoffbedarf der Seide decken.
Um das zentralen Tracheenbündel des Seiden-Haustoriums herum liegen andere, grünlich gefärbte Leitbündel, die offenbar ein Phloemäquivalent bei der Seide darstellen; Diese anderen Leitbündel zapfen das assimilatführende grüngefärbte Phloem der Nessel an. Eine erstaunliche Leistung des Parasiten, sich offenbar so präzise an die 2 verschiedenen Leitsysteme seines Wirtes anzuschliessen.
(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures002/95377_18950683.jpg)
(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures002/95377_38780531.jpg)
(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures002/95377_46497900.jpg)
(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures002/95377_27365746.jpg)
Bild 7 zeigt Details aus dem Haustorium.
(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures002/95377_48253780.jpg)
Bild 8 zeigt Details des Kontaktes der Seide (rechts) mit dem Wirtsgewebe (links).
(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures002/95377_32247948.jpg)
Gerade habe ich noch gelesen, dass Forscher der TU Darmstadt (!) ein Mittel gegen den Seidenbefall gefunden haben:
http://www.organische-chemie.ch/chemie/2006dez/gruenerteufel.shtm
Viel Spass beim Anschauen, ich hoffe ich habe alles richtig bezeichnet, Kommentare sind wie immer willkommen.
Herzliche Grüsse
Holger
Sehr eindrucksvoll, sowohl dieses "Alien" als auch deine Bilder, die es in Szene setzen. Die Biologie ist doch immer wieder spannend.
Lieber Holger,
vielen Dank für Deinen interessanten Beitrag! Da habe ich ja wieder mal was verpasst! ;)
Herzliche Grüße
Jörg
Lieber Holger,
bei diesen Bilder überlegt man schon, ob man da nicht zum Paraffinisten werden sollte.
Dein Beitrag erinnert mich an einer schon Jahre zurückliegenden Bestimmungsexkursion, so richtig mit Schmeil/Fitschen und Rothmaler Kritischer Band. Wir haben den Teufelszwirn in der Rhein-Ufervegetation nördlich der Nordbrücke auf der Schäl Sick bestimmen können.
Viele Mikrogrüße
Rolf-Dieter
Hallo Holger
Nun hab ich wieder ein neues Paraffinprojekt - danke für Deinen interessanten Beitrag.
Hier vielleicht noch ein Link zu einem Zeitrafferfilm, wie Cuscuta seinen Wirt angreift: http://youtu.be/hiMm3Utqb_g
Cuscuta kann seinen Wirt riechen - hier ein Film von Volker Arzt, genannt "Kluge Pflanzen", wo bei 6:20 ein Beitrag
beginnt über Cuscuta (wirklich sehenswert):
http://www.youtube.com/v/nxtZVOC96m4?version=3&hl=de_DE&rel=0"%20type="application/x-shockwave-flash"%20width="853"%20height="480"%20allowscriptaccess="always"%20allowfullscreen="true"
Für die Mikroskopsammler gibt es bei 3:55 (noch besser zu sehen bei 4:20) ein interessantes Objekt der Begierde - für jene die schon Alles haben ;)
Hier vielleicht nochmals die Links zu den vier Einzelteilen, die es benötigt um den ganzen Film "Kluge Pflanzen - Wie die wilden Tiere" anschauen zu können:
http://youtu.be/nxtZVOC96m4
http://youtu.be/Mmp016io7xE
http://youtu.be/EaOY-U1FsrQ
http://youtu.be/65Oimi8qzIU
mit herzlichen Mikrogrüßen
Leopold
Lieber Holger
Das sind schöne Bilder die du uns zeigst.
Danke fürs zeigen
Herzlichen Gruss
Jan
Hallo Holger,
danke für die genialen Bilder. Das Haustorium ist ideal getroffen.
Cuscuta ist tatsächlich Vollschmarotzer und braucht damit mit dem Haustorium Kontakt zu Xylem und Phloem des Wirtes.
Im Vergleich zum "Halbschmarotzer" Mistel, die eigene assimilierende Organe - Sproß und Blätter - hat und somit nur mit Wasser und Mineralien vom Wirt versorgt werden muß.
Gut, ich habe keine eigennen Erfahrungen mit Cuscuta. Aber aus der Ökologie der Pflanze zu schließen ist sekundäres Dickenwachstum im Haustorium unwahrscheinlich.
Sprich: Die Phloemzellen sind noch nicht so eindeutig zu differenzieren. Meiner Meinung nach handelt es sich noch um - nicht fusionierte - Siebzellen und deren Geleitzellen, die für die Versorgung des einjährigen Parasiten ausreichen sollten.
Als Wirte für eigene "Infektionsversuche" kenne ich noch Möhre und Hopfen. Also wer Samen findet ?! Im nächsten Frühjahr Wirtspflanzen vorziehen und dann ...
Das Interessante an Cuscuta ist für mich, daß der Keimling noch nicht einmal versucht eine Keimwurzel zu Bilden, sondern sich mit seinem ersten "Sproß" - Hypokotyl / 1.Internodium - auf dem Erdboden mit schlangenförmigen Windebewegungen bis zu einem geigneten Wirt fort zu bewegen - falls die Reservestoffe ausreichen.
Herzliche Grüße
Klaus
Lieber Holger,
eine sehr interessante Arbeit, vielen Dank.
Gruß
Hans-Jürgen
Lieber Holger,
sehr spannend, vielen Dank fürs Zeigen.
Herzliche Grüsse
Eckhard
Lieber Holger,
das ist wirklich etwas Ungewöhnliches und Neues, klasse!
Herzliche Grüße
Mila
Lieber Holger
Eine faszinierende Arbeit. Zerstört der Parasit eigentlich die Zellen seines Wirts beim
Eindringen oder "schiebt" er sie nur zur Seite ?
Es sieht so aus als würden die Pflanzenzellen absterben, was in Deinem großen Bild
sehr schön zu sehen ist.
Erwürgt der Parasit die Zellen oder bedient er sich irgendwelcher Säfte oder Stoffe
um in seinen Wirt einzudringen?
Der mittlere Kanal, der wie ein geriffelter Rüssel aussieht ist wohl der Saugrüssel über den
der Parasit seine " Nahrung" bezieht.
Ich kenne leider die Fachbezeichnungen nicht, betrachte das Vorgehen des Parasiten aber
aus der mechanisch, histologischen Brille. ;) :D
Herzlichen Dank für diese interessanten Aufnahmen!
Viele Grüße
Horst-Dieter
Liebe Kollegen,
danke Euch allen für Euer Interesse und Rückmeldungen!
Ich gehe im folgenden auf ein paar detaillierte Kommentare ein.
@ Leopold: Danke für die Links, sehr interessant. Ich bin an weiteren Hinweisen zur 'Chemie' des Angriffs und des Eindringens sehr interessiert.
@ Klaus (Omaruru): Hast Du noch ein paar Literaturzitate auf Lager bezgl. involvierter Botenstoffe?
@ Horst-Dieter: Der mittlere Rüssel ist eine Xylem-Trachee des Parasiten, die Wasser und Mineralstoffe aus dem Xyem der Nessel aufnimmt. Zum Thema Verdrängen bzw. Zerstören kann ich nicht viel sagen, ausser, dass ich nicht viel Zerstörungen sehen kann - vielleicht hat Klaus hierzu auch mehr Information?
Herzliche Grüsse
Holger
Hallo Horst-Dieter,
den geriffelten Rüssel hat Holger schon erklärt. Die Cuscuta (Kleeseide) wird ihren Wirt bestimmt nicht erwürgen, denn der muss ja gesund sein, damit er seinen Schmarotzer ernähren kann.
Der Infektionsvorgang ist sicherlich eine Kombination von mechanischen Vorgängen und dem Einatz von Zellwand auflösenden Enzymen.
Herzliche Grüße
Detlef
Hallo,
auf der Homepage des Botanischen Gartens der TU Darmstadt gibt es die Folien eines Vortrags über Pflanzenparasiten. Dort wird auch der Infektionsmechanismus von Cuscuta beschrieben.
http://www.bio.tu-darmstadt.de/media/projektname/botanischergarten/pdfs_1/vortraege/kaldenhoff_parasiten.pdf
Viel Spaß bei der Lektüre!
Rainer Teubner
Hallo Horst-Dieter,
bezüglich Literatur muß ich dich leider enttäuschen. Die Originalliteratur aus Darmstadt sollte allerdings weiterführen -siehe Link von Rainer.
Lamiaceen, Urticaceen und Carota haben für mich einen deutlichen Eigengeruch der vegetativen Teile. Bei Hopfen muß ich passen, weiß ich nicht - außer bei den Blüten, die sind bei der Infektion aber noch nicht Spruchreif.
Über welche Komponente dieser Düfte Cuscata den nächsten potentiellen Wirt "riechen" kann, geschweige denn wie die Richtung bestimmt werden könnte. Bei Schmetterlingen mit Stereoantennen ok. Aber Cuscuta ???
Ich persönlich kenne Kommunikation unter Pflanzen zuerst aus "Omaruru" / Namiba als Reaktion auf Fraß. Im Rahmen der Umstellung von Rinder- auf Gamefarming.
Also doch Goethe ;): Es gibt Dinge zwischen ...
Grüße
Klaus
Zitat von: KlausAlso doch Goethe : Es gibt Dinge zwischen ...
Nix mit Goethe, das war Shakespeare im Hamlet!
Herzliche Grüsse
Eckhard
Ein sehr interessanter Bericht und super Bilder, vielen Dank.
Gruß Mario
Hallo Eckhard,
ich habs bei Goethe gelernt
"Es gibt mehr zwischen Himmel und Erde als Deine Schulweisheit sich träumen läßt."
auch wenn es mittlerweile als Plagiat eingestuft wird
"There are more things in heaven and earth, [...] than are dreamt of in your philosophy."
;)
auch humoristisches Guninasium besucht?
Klaus