Das "New Larger Petrological Microscope" nach A. B. Dick, Swift & Son, London
Eigentlich dachte ich, unser Sammlerglück wäre mit dem Erwerb des Tuttonschen Schneid- und Schleifgoniometers (https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=32035.msg237154#msg237154) für dieses Jahr erschöpft (das Budget war es ja auch schon längst), aber dann tauchte dieses Gerät in einer Auktion in London auf:
(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures009/243382_14347911.jpg)
Es handelte sich um das ,,große petrographische Mikroskop nach A. B. Dick" von James Swift & Son in London aus der Zeit um 1895.
Für einen Sammler ausschließlich mineralogischer Instrumente sind die Mikroskope aus der viktorianischen Ära in England wunderschön anzusehen, aber doch eigentlich von nur untergeordnetem Interesse. Sie wurden zwar schon früh - etwa seit 1870 - standardmäßig mit Polarisationseinrichtungen versehen und werden auch immer wieder als Polarisationsmikroskope angeboten, sind es aber eigentlich nicht. Für die Salonmikroskopiker, die auf der Suche nach dem abendlichen Kick bunte polarisationsoptische Phänomene sehen wollten, waren sie wohl geeignet, nicht aber für quantitatives wissenschaftliches Arbeiten. Eine Ausnahme ist zweifellos das petrographische Mikroskop nach A. B. Dick, dessen Prinzip er 1889 beschrieb und das ab 1891 in den Katalogen der Fa. Swift & Son geführt wurde. Es wartete mit einer völlig anderen und innovativen Technik auf, die bald darauf auch bei den großen Forschungsstativen der Anbieter auf dem Kontinent – besonders in Deutschland – Einzug hielt.
Für mineralogisches Arbeiten mit dem Polarisationsmikroskop ist eine definierte und genau messbare Rotation des Präparats relativ zu der Lage der Polarisatoren zwingend erforderlich. Klassischerweise bedient man sich dabei eines graduierten Drehtischs, was aber bedeutet, dass man für jedes einzelne Objektiv die mechanische Drehachse des Mikroskoptischs und die Achse der abbildenden Optik zueinander justieren muss. Was heute standardmäßig mit Zentrierrevolvern erfolgt, war zur Zeit der frühen Entwicklung der Polariskope eine große mechanische Herausforderung, die von verschiedenen Firmen unterschiedlich gelöst wurde. A. B. Dicks innovativer Ansatz war eine Synchrondrehung der Polarisatoren bei stillstehendem Präparat. Damit war ein exakt gefertigter, gut gelagerter Drehtisch entbehrlich und die besonders bei starker Vergrößerung lästige Zentrierung der Objektive entfiel. Auch bei der Verwendung von Zusatzapparaturen, wie z.B. dem Universal-Drehtisch, war diese synchrone Drehung vorteilhaft. Sie wurde daher praktisch von allen wichtigen Mikroskopbauern für ihre großen Forschungsstative übernommen, meist allerdings in Kombination mit einem Drehtisch, sodass je nach Zielsetzung beide Verfahren angewendet werden konnten.
Die synchrone Rotation der Polarisatoren beim klassischen Dick-Mikroskop erfolgt über ein Zahnradgetriebe und eine lange Ritzelstange als Kopplung zwischen Polarisator und Analysator, wie es von Fuess für das große Stativ VI übernommen und verbessert wurde (hier) (https://www.musoptin.com/item/grosses-polarisationsmikroskop-mit-synchroner-drehung-der-nicols-r-fuess-steglitz-bei-berlin-500-1895/). Andere Firmen haben das Prinzip weiterentwickelt in Form geschlossener Getriebekästen und einer besseren Kopplung wie z.B. Voigt & Hochgesang (später von Dr. Steeg & Reuter weitergeführt) hier (http://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=17504.0) und Leitz hier (http://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=26148.0) .
A. B. Dicks ursprüngliches Instrument von 1889 war als Studentenmikroskop konzipiert, von mittlerer Größe und mit geringer Ausstattung. Kurz nach seiner Einführung, im Jahre 1892, bot die Firma Swift & Son zusätzlich ein deutlich größeres Stativ als Forschungsmikroskop an, das ,,New Larger Petrological Microscope", genau das nun versteigerte Modell. Über dieses Instrument schreibt Tutton in seiner berühmten Monographie Crystallography and practical crystal measurement, 1911: The best crystallographic microscope which has come within the author's own experience is the large pattern one constructed by Messrs. Swift and Son, designed in its earlier form by Mr. Allan B. Dick and known as the "large Dick microscope". With the subsequent additions which have been made to this instrument on the recommendations of Dr. H. A. Miers, Professor Bowman, Mr. G. W. Grabham, and the author, this instrument is in every way admirable for the crystallographer's purposes.
Dicks Studentenmikroskop ist schon nicht sehr häufig – ich kenne etwa ein halbes Dutzend in Museen und Privatsammlungen – das große Modell jedoch hatte ich noch nie gesehen. Auch im Internet findet man kaum Informationen darüber, und selbst in den Firmenkatalogen gibt es neben der knappen Beschreibung wohl keine Abbildungen. So blieb nur die hervorragende und mit gleich 6 detaillierten Stichen bebilderte 10-seitige Beschreibung im Tutton als Quelle, aus der aber natürlich die Größenverhältnisse zwischen dem kleinen und dem großen Modell nicht hervorgehen. Dies vermitteln die folgenden Bilder, bei denen deutlich wird, dass es sich bei sehr ähnlichem Erscheinungsbild um eine erhebliche Größendifferenz von ca. 20% handelt:
(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures009/243382_51393439.jpg)
Gestatten, "New Larger Petrological Microscope" nach A. B. Dick, Swift & Son, London, ca. 1895 und mein kleiner Bruder. (https://www.mikroskopie-forum.de/pictures009/243382_26756241.jpg)
Das Stativ
Die englische Provenienz des Mikroskops ist an dem klassischen und sehr attraktiven Klauenfuß aus massivem schwarzgebeiztem Messing direkt erkennbar. Über ein Gelenk knapp oberhalb des Objekttischs ist der Fuß mit dem Tubusträger verbunden; letzterer hat einen klassischen Grobtrieb über Zahnstange und Ritzel und einen Feintrieb mittels einer feingängigen senkrechten Schraube gegen ein Federwiderlager. Seriennummern sind bei diesen Swift-Mikroskopen nur für den Eingeweihten zu finden. Sie sind, wenn überhaupt vorhanden, an der Unterseite des Klauenfußes eingraviert. Dieses Mikroskop trägt die Nummer 10634 und ist damit eines der frühesten bekannten Stative von Swift – das älteste bekannte hat nach Bracegirdle, B. (1996): Notes on modern microscope manufacturers, Quekett Microscopical Club die Nummer 10290.
Der Tubus
Am unteren Ende des Tubus befindet sich ein normaler Objektivrevolver mit drei Plätzen – eine Zentriervorrichtung ist ja wegen des Konstruktionsprinzips nicht erforderlich. Knapp darüber ist ein Ausbruch eingefräst, in dem ein Innentubus mit einem Bertrandlinsen-Schieber gleitet. Zur Fokussierung wird dieser Innentubus von Hand verschoben.
Am oberen Ende des Tubus befindet sich ein zweiter Bertrandlinsen-Schieber, dessen Leerloch als Besonderheit mit einer Blenden-Revolverscheibe versehen ist, sodass man auch kleine Körner zur Beobachtung von Achsenbildern ausblenden kann (gelberPfeil). Darüber ist das Zahnrad-Getriebe angeordnet, das beim großen Modell aus drei Zahnrädern besteht, im Gegensatz zum Studentenmikroskop mit nur zwei Zahnrädern. Dadurch ist der Abstand der Tubusachse vom Tubusträger erheblich vergrößert, wodurch auch größere Nebenapparate auf dem Tisch montiert werden können. Mit einer Klemmschraube kann das Getriebe festgesetzt werden (grüner Pfeil). Der darüber liegende Teil des Tubus rotiert komplett bei der Synchrondrehung. In ihm befindet sich ein Schlitz zum Einschieben der Hilfsobjekte, die ungewöhnlicher Weise in Ebonit, einem 1851 entwickelten Hartgummiwerkstoff, gefasst sind. In die Fassung ist die optische Orientierung der Hilfsobjekte in Form elliptischer Indikatrixschnitte eingraviert (roter Pfeil). Der Schlitz für die Hilfsobjekte befindet sich, ähnlich wie beim Wright-Okular, nahe der Ebene des reellen Zwischenbilds. Dafür ist ein spezielles Okular, das gleichfalls geschlitzt ist, erforderlich. Es ist im ersten Bild links, liegend, zu sehen.
(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures009/243382_23264094.jpg)
Oberteil des Tubus mit dem Getriebe für die Synchrondrehung, dem oberen Bertrandlinsen-Schieber mit dem Lochblenden-Revolver (gelber Pfeil), dem ausklappbaren Analysator und dem Hilfsobjekt (roter Pfeil)Den oberen Abschluss des Tubus bildet der ausklappbare Analysator, der zusätzlich zur Synchrondrehung noch in seiner Fassung drehbar ist und bei 0° rastet, sodass man schnell die Stellung für gekreuzte Polarisatoren wiederfinden kann.
An der Vorderseite des Tubus befindet sich noch eine ausklappbare Lupe, mit deren Hilfe man die Stellung der Polarisatoren, die am Tisch angezeigt wird (siehe unten) ablesen kann, ohne dass man den Kopf weit aus der Beobachtungsstellung bewegen muss.
Der Tisch
Wie bereits erwähnt ist der große rechteckige Tisch aus schwarzgebeizter Bronze mit den Maßen 94 mm x 103 mm starr mit dem Stativ verbunden. Er verfügt über einen patentierten Objektführer, bei dem die Verschiebung in x-Richtung über ein horizontal angeordnetes Rändelrad und eine Welle mit zwei Ritzeln auf zwei Rollen aus Ebonit wirkt, dem zur besseren Griffigkeit offensichtlich Sand beigemischt ist (rote Pfeile). In y-Richtung erfolgt die Verschiebung über ein vertikales Rändelrad und eine Reibrolle in einer V-Nut sowie zwei Räder zur Führung auf der Gegenseite (blaue Pfeile). Der gefederte Präparatehalter drückt gleichfalls mit einer Ebonit-Rolle auf den Objektträger. Er ist mit einer attraktiven Zierschabung und der Gravur: J. Swift & Son. London. Pat. No. 4345 sowie der Seriennummer 486 versehen. In Diagonalrichtung ist eine Schwalbenschwanznut eingefräst, in der ein verzierter Messing-Schieber gleitet, in dem sich ein Leerloch für normale Beobachtungen, eine feine Lochblende und eine zusätzliche Kondensorlinse für hohe Aperturen befindet.
(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures009/243382_14303791.jpg)
Mikroskoptisch mit patentiertem Objektführer. Rechts oben ist der netzartig eingravierte Objektfinder zu sehen. Rote Pfeile: x-Verschiebung mit Ritzel, Rollen und Reibrädern, blaue Pfeile: Führungsrollen für die y-Verschiebung, grüner Pfeil: Druckrolle aus Ebonit, gelber Pfeil: Teilkreis und Nonius für die SynchrondrehungAn der dem Stativ abgewandten Seite des Tischs befindet sich eine Ausfräsung mit einer Ablesemarke und einem Nonius zur Messung der synchronen Drehung.
Genial ist der eingravierte Objektfinder, der aus einem Liniennetz mit Teilung besteht. Durch Ablesung zweier Koordinaten für die rechte obere Ecke des Objektträgers ist so jede Objektstelle eindeutig lokalisiert und schnell wieder zu finden.
Der Kondensor
Für ein so aufwendiges Mikroskop ist der Kondensor relativ einfach konzipiert. Er besteht im Wesentlichen aus einem großen Zahnrad, auf dessen Oberseite ein versilberter Teilkreis für die Synchrondrehung aufgraviert ist, der über den Nonius am Tisch abgelesen wir. An der Unterseite befinden sich in einer Hülse eine Linse und eine Irisblende, die über ein Rändelrad betätigt wird. Darunter ist der Polarisator angebracht, der an einem Arm ausgeschwenkt werden kann. Er ist in seiner Hülse drehbar und rastet in 0°-Stellung.
Die Beleuchtung erfolgt über einen groß dimensionierten Spiegel (63 mm Durchmesser), der auf einem vernickelten Rohr in der Höhe verstellbar ist.
(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures009/243382_49584532.jpg)
Kondensor mit Irisblende, Polarisator ausgeklapptZubehör und Nebenapparate
Das Mikroskop kam mit einer kompletten Grundausstattung von 5 Objektiven, 4 Okularen einem Hilfsobjekt Rot I und sogar einem ,,bull's eye condenser", der wohl an keinem viktorianischen Mikroskop fehlen darf, aber für mineralogisches Arbeiten natürlich entbehrlich ist. Mitgeliefert wurde eine maßgefertigte Mahagoniplatte mit einer Glasglocke und samtbezogenen Aufnahmen für Mikroskop und Zubehör, sowie ein Original der Publikation von A.B. Dick (1890): Notes on a new form of polarizing microscope, James Swift & Son, London. Zu meiner Freude wurde auch der Original-Mahagoni-Aufbewahrungskasten mitgeliefert, der in der Auktionsbeschreibung gar nicht erwähnt war.
Zu diesem Mikroskop gab es zwei Nebenapparate, die aber noch seltener sein dürften als das Mikroskop selbst. Beide sind auf diesem Stich aus dem Tutton zu sehen. Es handelt sich um einen sehr komplexen aufsetzbaren Drehtisch mit integriertem Objektführer, den "measuring stage" (vor dem Stativ liegend) und einen frühen Drehapparat, dem "stage goniometer" nach Miers (auf den Tisch montiert). In seiner Funktion entspricht dieser modernen Spindeltischen.
(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures009/243382_19699911.jpg)
Das ,,New Larger Petrological Microscope" nach A. B. Dick mit Nebenapparaten, "measuring stage" vorne liegend, Miers stage goniometer auf dem Tisch montiert; aus Tutton (1911)Epilog
Nachdem die nervenaufreibende Auktion beendet war und wir völlig verarmte aber glückliche Besitzer des Mikroskops waren, stellte sich das nächste Problem: Wie sollte ein Instrument in dieser Größe mit einer so empfindlichen und nicht wiederbeschaffbaren Glasglocke ohne Schaden versendet werden. Von missglückten Versuchen haben wir hier alle genügend gelesen und ich selbst habe viele Wochen meines Schaffens mit der Reparatur von Transportschäden verbracht. Glücklicherweise war der Auktionator in diesen Dingen sehr erfahren und hat sich nach telefonischer Absprache persönlich um die Verpackung bemüht. Das Ergebnis war absolut perfekt und ist hier zu sehen, nachdem wir dem netten Hinweis des DHL-Boten gefolgt waren:
(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures009/243382_2389992.jpg)
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In der eigens angefertigten großen Holzkiste befand sich ein stabiler Karton (links im Bild) mit reichlich Umverpackung und darin nur die Glasglocke, wiederum bestens gepolstert. Mikroskop und Holzkiste waren separat verpackt und gleichfalls bestens gepolstert. Mit einem Wort: professionell!
(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures009/243382_35529478.jpg)
Wegen der besonderen Attraktivität und der Größe braucht dieses Mikroskop sich nicht in den Sammlungsvitrinen der Konkurrenz stellen, sondern ist als eines von nur zwei wissenschaftlichen Instrumenten in unserem Wohnzimmer aufgestellt - und erfreut uns täglich aufs Neue.
Wir hoffen ihr hattet Spaß bei dieser Vorstellung.
Herzliche Grüße,
Ulli und Olaf