Botanik: Mal was anderes - Hirschzungen-Rispenhirse (Panicum clandestinum) *

Begonnen von Fahrenheit, Juli 07, 2018, 11:23:08 VORMITTAG

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Fahrenheit

Liebe Pflanzenfreunde,

seit längerem ist es mir nicht gelungen, eine Pflanze, die ich präpariert habe, auch zu bestimmen. Heute möchte ich Euch ein Süßgras zeigen (Familie Poaceae). Die Familie gehört mit rund 12000 Arten zu den artenreichsten weltweit. Das macht die Bestimmung natürlich nicht einfach.

*** Bestimmung erfolgt als Hirschzungen-Rispenhirse (Panicum clandestinum) - siehe unten im Thread ****

Vielleicht kann aber jemand aus dem Forum helfen, daher versuche ich mein Gras hier so gut wie möglich zu beschreiben. Das schöne Gras steht seit Jahren in unserem Garten und ist auf jeden Fall keine einheimische Art und stammt aus dem Gartenhandel.

Bild 1: So schaut's aus


Wir sehen eine ca. 80 cm hohe, ausladende Staude. Die Pflanze ist hoch gebunden, die Halme kippen in der Regel nach den ersten stärkeren Sommerregen, das nimmt uns dann aber zu viel Platz weg.

Bild 2: Die Blätter


Die Blätter sind zwischen 8 und über 20 cm lang und um die 2,5 cm breit. Sie weisen die typische parallele Nervatur auf, mit einem ausgezeichneten Mittelnerv und etwa 10 weiteren Hauptnerven. Dazwischen liegen weitere, kleinere Leitbündel.

Bild 3: Die Nervatur


Die Blattoberfläche ist glatt nit tastbarer Nervatur, die Blattränder sind basal behaart, die Haare gehen aber ab dem etwa dem ersten Viertel zur Spitze hin in eine Zähnung über, die dem Blattrand einen rauen Griff verleihen.

Die Blattscheiden entspringen an den Knoten und umschließen den Spross komplett. Sie sind ebenfalls rundum mit ca. 1 mm langen Trichomen behaart. Es können mehrere Blätter an einem Knoten stehen.

Bild 4: Behaarte Blattscheiden


Die Knoten haben einen Durchmesser von ca. 4 mm und sind damit gegenüber den Internodien mit 2 bis 3 mm deutlich verdickt. Die Internodien sind leicht geriffelt und tragen viele Reihen von kleinen Sternhaaren, die unter der Lupe als weiße Pünktchen erkennbar sind. Beides dient vermutlich dazu, beim Wachstum die Reibung zwischen Blattscheide und Spross zu verringern beziehungsweise ein Anhaften zu vermeiden.

Bild 5: Knoten und Internodien


Die unscheinbaren grünen Blüten erscheinen am Ende des Sprosses an einem kegelförmigen Blütenstand (zusammengesetzte Ähre), der sich mit der Samenreife weiter verlängert. Die einzelnen, etwa 3,5 mal 1,5 mm großen Blüten sind von behaarten Spelzen (Brakteen?) umschlossen und grün mit einer rötlichen Färbung zur Sonnenseite. Dabei sind nicht alle möglichen Plätze besetzt: viele sind leer, die Blüte wohl abgefallen. Siehe Bild 7. Ob mittlerweile nur noch die befruchteten Blüten anstehen?

Bild 6: Zusammengesetzte Ähre (Doppelähre), CC BY-SA 3.0, aus Wikipedia von User Shazz


Bild 7a: Der Blütenstand meines Grases

Wer findet den kleinen Gast? :) - er ist unbeschadet wieder im Garten gelandet.

Bild 7b: Eine Einzelblüte unter dem Präparationsmikroskop.

Eine schnelle Einzelaufnahme mit dem Handy durchs Okular. Das kleine Ding hat natürlich keine Kameraadaption.

Bleibt noch ein Blick in die Kinderstube. Wenn jemand Ableger haben möchte: gerne. :)

Bild 8: Jungpflanze, ca. 8 cm


Ich hoffe, die Beschreibung ist für einen Bestimmungsversuch ausreichend. Wenn ich wichtige Details unterschlagen habe, fragt gerne nach, die Pflanze steht ja im Garten und ich kann jederzeit nachlegen. eine Ausnahme bilden die Blüten, die sind durch.


Präparation:

Geschnitten habe ich den frischen Spross inklusive anliegender Blattscheide. Beim freistehenden Schnitt löst sich die Blattscheide regelmäßig vom Spross und muss extra präpariert werden. Die Schnittdicke auch hier 50 µm.

Nach einer Schnittfixierung in AFE für ca. 9 Stunden wurden die Schnitte in Aqua dest. überführt. Eine weitere Vorbehandlung habe ich nicht vorgenommen.

Gefärbt habe ich mit W3Asim II nach Rolf-Dieter Müller für 7 Minuten mit einmaligem kurzen Erwärmen bis kurz vor den Siedepunkt.
Eine Beschreibung der Färbung findet Ihr hier: W3Asim II im Vergleich auf der Seite des MKB.
Nach der Färbung wurden die Schnitte in Aqua dest. für 24 Stunden mit mehrmaligem Wechsel sanft differenziert.

Eingedeckt sind die Schnitte - nach gründlichem Entwässern in reinem Isopropanol - in Euparal.


Technik:

Die Aufnahmen sind auf dem Leica DMLS mit dem 5x NPlan sowie den 10x, 20x und 40x PlanApos entstanden. Die Kamera ist eine Panasonic GX7, die am Trinotubus des Mikroskops ohne Zwischenoptik direkt adaptiert ist. Die Steuerung der Kamera erfolgt durch eine Smartphone App, die neben der Fernsteuerung des Auslösers auch die notwendigen Einstellungen zur Verschlusszeit und den Weißabgleich erlaubt. Der Vorschub erfolgt manuell anhand der Skala am Feintrieb des DMLS.

Alle Mikroaufnahmen sind mit Zerene Stacker V1.04 (64bit) gestackt. Die anschließende Nachbereitung beschränkt sich auf die Normalisierung und ein leichtes Nachschärfen nach dem Verkleinern auf die 1024er Auflösung (alles mit XNView in der aktuellen Version). Bei stärker verrauschten Aufnahmen lasse ich aber auch mal Neat Image ran.


Nun zu den Schnitten

Zunächst der Spross.

Bild 9a-f: Ungefärbte Schnitte, Bilder 9d und f mit Beschriftung und Maßstab. Alle Aufnahmen gestapelt.







Die Übersicht in Bild 9a hab' ich leider vergeigt. Ich bin vor Beginn der Aufnahmereihe wohl noch mal ganz sanft an den Objekttisch gestoßen :(.
Ansonsten zeigen die ungefärbten Schnitte schön, dass man auch ohne weitere Präparation alle wesentlichen Details erkennen kann. Die Verteilung der Chloroplasten ist natürlich nur am Frischmaterial zu erkennen. Hier gibt es an der Außenseite einige flache Inseln mit Assimilationsgewebe und auch die Zellen des Markparenchyms haben jeweils einig Chloroplasten.
Seine Stabilität erhält der Spross durch einen ausgeprägten Sklerenchymring direkt unter der Epidermis.
Die Leitbündel zeigen die typische, vom Klassiker Mais bekannte Form mit zwei großen Tracheiden an den Seiten, einem zentralen Phloem am äußeren Ende und unter dem Xylem am inneren Ende noch eine Lakune, in der Reste von Versteifungsringen zu erkennen sind.
Informationen zu den Abkürzungen in den Bildern 9d und f sowie den folgenden beschrifteten Bildern findet Ihr wie immer auf der Webseite des MKB: Tabelle mit den Kürzeln und den zugehörigen allgemeinen Erläuterungen

Und nun das Ganze in Farbe! :)

Bilder 10a-f: Die gleichen Ausschnitte wie in der Serie 9, nun gefärbt mit W3Asim II, Bilder 10c und f mit Beschriftung. Auch hier wieder alle Aufnahmen gestapelt.







Diesmal ist die Übersichtsaufnahme schön mittig. Aber leider sind mir alle schnitte wegen des massiven Sklerenchymrings gerissen. Im Bild 10c sind die oben angesprochenen Trichome als kleine Grübchen erkennbar (TR) zu erkennen, ansonsten gibt es nichts Neues zu entdecken.

Bleiben die Schnitte von den Blattscheiden. Diese sind etwas verzogen, da sie sich beim schnitt gelöst haben.

Bilder 11a-c: Blattscheide, Bild 11c mit Beschriftung. Alle Aufnahmen gestapelt.




Die Blattscheide nimmt schon den typischen Aufbau eines Grasblattes vorweg. Leider ist von den Trichomen nichts mehr zu erkennen. Die parallel verlaufenden Leitbündel sind von einer erweiterten Leitbündelscheide umgeben, oberhalb und unterhalb sitzen an den Oberflächen Sklerenchymstränge, die auch beim Blatt selbst tastbar sind. Zwischen den Leitbündeln finden sich im Schwammparenchym große, vermutlich lysigene Lakunen.

Vielen Dank fürs Anschauen, Anregung und Kritik sind wie immer willkommen. Diesmal insbesondere auch Hinweise zur Bestimmung meines Grases.

Herzliche Grüße
Jörg   
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Arbeitsmikroskop: Leica DMLS
Zum Mitnehmen: Leitz SM
Für draussen: Leitz HM

Hans-Jürgen Koch

Lieber Jörg, die Bilder sind super, zur Pflanzenbestimmung kann ich Dir leider nichts
sagen. Meine Bücher liegen zu Hause. Gruß aus Schweden. Hans-Jürgen
Plants are the true rulers - Pflanzen sind die wahren Herrscher.

<a href="http://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=2650.0" target="_blank">Hier geht es zur Vorstellung</a>

Gerne per "Du"

kare

Hallo Jörg,

leider kann ich trotz deiner guten und ausführlichen Beschreibung nichts zur Bestimmung beitragen.
Die Färbung finde ich sehr schön - gut geglückt, insgesamt wieder ein schöner und sehr lehrreicher Bericht!

Bezüglich der ungefärbte Schnitte und der zusätzlichen Details wie den Chloroplasten möchte ich auch noch einen Gedanken ergänzen dass ich es immer wieder faszinierend finde auch an ganz frischem Material noch lebende Zellen beobachten zu können. Es lohnt sich also die Proben während der einzelnen Präperationsschritte immer wieder mal genauer zu unter die Lupe - äh das Mikroskop  ;) zu nehmen.

Viele Grüße,
Karl

Fahrenheit

Lieber Hans-Jürgen, lieber Karl,

vielen Dank für Euren Kommentar und das Lob!

Gräser sind wirklich schwierig, da müssten wir schon das Glück haben, einen ausgewiesenen Fachmann in unserem Kreis zu haben.

Herzliche Grüße
Jörg
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Fahrenheit

Liebe Pflanzenfreunde,

die Bestimmung meines Terrassengrases hat mir keine Ruhe gelassen, war aber trotzdem nur bedingt erfolgreich.

Mit der Unterstützung von Herrn Walter Nänny konnte ich das Gras bis auf den Tribus Olyreae eingrenzen, letztendliche Sicherheit habe ich jedoch nicht.
Geprüft habe ich anhand der Dokumentation in der EOL (Encyclopedia of Life) für die Unterfamilie der Bambusartigen (Bambusoideae).

Letztendlich kommt mein Gras vom Aussehen her am nächsten an die Art Parodiolyra luetzelburgii heran. Allerdings stammt diese aus dem Amazonasbecken, was gegen die Frostfestigkeit meiner Pflanze spricht.

Vergleicht man meine Bilder hier im Thread mit denen in der EOL, stellt man auch fest, dass der Blütenstand etwas anders aussieht und die Blätter den Halm am Übergang zu Blattscheide umfassen, was bei P. luetzelburgii nicht der Fall ist.

Wenn jemand noch eine Idee hat: ich würde mich sehr freuen!

Herzliche Grüße
Jörg
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Detlef Kramer

Hallo,

es handelt sich um Panicum clandestinum, sicher bestimmt durch den Kurator des Botanischen Gartens der TU Darmstadt. Vielen Dank!

Herzliche Grüße
Detlef
Dr. Detlef Kramer, gerne per DU

Vorstellung: Hier klicken

Fahrenheit

#6
Lieber Detlef,

danke Dir und auch noch einmal lieben Dank an Prof. Schneckenburger!

Mit seiner Bestimmung habe ich noch einmal nach Bildern der Hirschzungen-Rispenhirse (aus dem Amerikanischen: Deartongue) oder Bambus Hirse - also Panicum clandestinum (ITIS Catalogue of Life, April 2013) gesucht.
Die Bilder, die Tante Google zurück liefert, passen alle sehr gut, nur dass meine Blütenstände meist etwas weniger dicht besetzt sind.

Auch in der EOL bin ich fündig geworden: Panicum clandestinum bei EOL. Besonders die Zeichnung unter https://media.eol.org/content/2009/04/21/01/07044_orig.jpg zeigt die Features am Blütenstand und dem Übergang zur Blattscheide so, wie ich sie auch bei mir im Garten finde.

Bild 12: Detail von Blatt und Blattscheide


Der vollständigkeit halber: in der EOL ist alternativ Dichanthelium clandestinum (L.) Gould (NCBI Taxonomie) angegeben.

Für mich zeigt sich wieder, dass die Bestimmung unbekannter Arten ein schwieriges Geschäft ist, besonders, wenn man mit dem jeweiligen Gebiet nicht vertraut ist und ganz besonders bei den Ponaceae, wo die Auswahl am größten ist. Auch wenn wir falsch gelegen haben hier nochmals danke an Herrn Nänny für seine Unterstützung.

Ach ja: die Heimat der Hirschzungen-Rispenhirse ist der Osten der USA, in einem breiten Band vom Süden bis in nördliche Gefilde. Da passt dann auch die Frostfestigkeit.
Siehe dazu die Verbreitungskarten bei EOL. 

Fazit: eine spannende Suche und der Name P. clandestinum passt sehr gut: die heimlich tueende Hirse hat sich im Netz gut vor mir versteckt.  ;D
Und ja, jetzt muss ich die alten Olyreae - Etiketten von meinen Präparaten polken und durch neue ersetzen. Ordnung muss sein.

Herzliche Grüße
Jörg

p.s.
So, den Thread Titel habe ich auch angepasst.
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güntherdorn

hallöchen jörg,
ich frag mich langsam, wozu ich überhaupt noch mikroskopiere, wenn du IMMER derart gute fotos hier veröffentlichst ?
einfach klasse und scharf ! danke fürs zeigen.
güntherdorn
- gerne per du -
günther dorn
http://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=444.0
www.mikroskopie-gruppe-bodensee.de
gildus-d@gmx.de

Fahrenheit

Lieber Günther,

danke dir für Dein großes Lob! Aber das ist keine Zauberei, nur Handwerk und Übung, zumal meine Schnitte mit um die 50µm ja eher dick sind.

Ich fotografiere seit Mitte 2017 mit einer Panasonic GX7 am "neuen" DMLB Ergo-Trinotubus. Das ist das gleiche Setup wie es auch Jürgen Harst für seine Insektenschnitte verwendet:



Aber mit meinem alten DME und der Canon PS 520a war ich auch sehr zufrieden. Es muss also keine Materialschlacht sein.

Grundlage meiner Aufnahmen sind immer Stapel von (abhängig vom verwendeten Objektiv) etwa 20 bis 80 Bildern. Im Schnitt sind es so um die 40. Diese verrechne ich mit dem Stacking Programm Zeren Stacker. Das Program ist aber nicht ausschlaggebend. Wichtig ist, bei den Aufnahmen für den Stapel schon auf gute Qualität zu achten (Weißabgleich und korrekte Belichtung) und den erstellten Stapel zu prüfen: komplett unscharfe Bilder am Anfang und um Ende müssen gelöscht werden.
Mit den Parametern muss man je nach Programm etwas experimentieren. Dazu eignet sich insbesondere auch Picolay von unserem Forenmitglied Heribert.

Anschließend kommt noch ein wenig Nachbereitung auf Basis des gestackten Bildes - immer noch in voller Auflösung. Das mache ich mit dem kostenlosen XNView: ich lege den Schwarz-Weiß-Punkt fest und erhöhe gelegentlich bei den Aufnahmen mit dem 5x Objektiv etwas die Farbsättigung.

Bei sehr verrauschten Aufnahmen lasse ich Neat Image V8 drüber laufen (die Standalone Version, Lizenz liegt bei etwa 80 Euro).

Am Ende der Kette "putze" ich ggf. vorhandene freien Bereiche mit PS Elements 10 (manuell mit dem Pinsel oder mit Zauberstab und Füllwerkzeug). Der Farbton ist ein ganz leichtes Grau: rgb 240:240:240 - auch hier ist das verwendete Programm egal.   

Nun erst wird das Bild auf das Forenmaß 1024 * 768 verkleinert und wenn nötig noch leicht nachgeschärft (40% in XNView, die Funktion "Schärfen" im Dialog zum Verkleinern des Bildes wirkt in aller Regel zu stark). 

Viel Spaß beim Ausprobieren und herzliche Grüße
Jörg
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