Ein UFO (unknown flat object)

Begonnen von Reinhard, Oktober 09, 2020, 16:13:33 NACHMITTAGS

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Klaus Herrmann

Lieber Alfons,
sehr hilfreich deine Liste. Vielen Dank dafür!
Mit herzlichen Mikrogrüßen

Klaus


ich ziehe das freundschaftliche "Du" vor! ∞ λ ¼


Vorstellung: hier klicken

Alfons Renz

Lieber Reinhard, lieber Klaus,

Es freut mich, dass Euch die Liste hilft!

Ich beschäftige mich ja schon seit längerem mit der Geschichte der Präparate von Prof. Martin Heidenhain und versuche, anhand der noch vorhandener Kästen die Evolution derKurs-Präparate zu analysieren: Wann wurden welche Präparate hergestellt / ausgeteilt?

Es ist eine Geschichte mit einem sehr dunklen Kapitel: Bis Anfang der 1950iger Jahre stammten die meisten Human-Organpräparate von Leichen aus dem Justizvollzug. Die Ersten noch von Hinrichtungen in München, später in Württemberg. Die einzig verfügbare 'Landes-Guillotine' wurde zu den jeweiligen Hinrichtungen an die Stätten des Justizvollzugs gebracht. Die Anatomie-Assistenten mussten zu diesen Hinrichtungen reisen, wenn frisches Material benötigt wurde. In Tübingen war es einfacher: Dort liegt die Anatomie gleich neben der Justizvollzugsanstalt in der Doblerstraße. Eine kleine Tür in der hohen Gefängnismauer verband - und verbindet noch heute - die beiden Anstalten.

Während des Dritten Reichs nahm die Zahl der Hinrichtungen in grauenvoller Weise zu, wobei davon auszugehen ist, dass rechtsstaatliche Normen ausgesetzt waren. Deshalb wurden auch alle Präparate aus dem Dritten Reich von der Lehre ausgesondert und im Gräberfeld X auf dem Stadtfriedhof Tübingen in einer feierlichen Zeremonie beerdigt.

Die Stuttgarter Guillotine wurde, beschädigt durch einen Bombenangriff - kurz vor Kriegsende im Neckar versenkt und liegt dort noch heute.... Die Französische Besatzungsmacht ließ alsbald ein neues Gerät nach dem alten Bauplänen anfertigen, das weiter für den Justizvollzug genutzt wurde. Der letzte Mörder wurde damit 1949 in Tübingen hingerichtet, kurz bevor die Todesstrafe in der Ziviljustiz abgeschafft wurde. Die Guillotine kam jedoch weiter im Rahmen der französischen Militärgerichtsbarkeit zum Einsatz, bis in die Mitte der 1950iger Jahre. Heute kann man sie im Museum des Justizvollzugs in Ludwigsburg besichtigen.

Bei den Mitte der 1950iger Jahren angefertigten Präparaten ist anzunehmen, dass diese allenfalls von der Hinrichtung 1949 stammten, oder von 'natürlicheren Quellen', sprich Operationen und Obduktionen.

Hergestellt wurden die Heidenhain'schen Kurspräparate vom Assistenten Paul Graf, dem für seine Tätigkeit 1957 das Bundesverdienstkreuz zum Ruhestand verliehen wurde, s.u..

Der vorliegende Kasten dürfte also Präparate enthalten, die zu den Letzten von Paul Graf persönlich hergestellten zählen, und deren Qualität und auch Haltbarkeit der Färbung einzigartig ist.

Im Kurs wurde offenbar großer Wert auf die korrekte Einbettung und Beschriftung der bis zu 130 Kurspräparate gelegt. Aber leider haben es die Studenten in den meisten Fällen vergessen, das Semester und den Titel ihres Kurses im Kasten zu vermerken.

Um meinen Überblick über die Entwicklungsgeschichte der Heidenhainschen Präparate zu ergänzen, bin ich deshalb immer dankbar für Listen von zeitlich datierten Kästen. Anhand derer versuche ich, eine 'Evolution' der Lehre der Histologie an der Universität Tübingen zu rekonstruieren.

Mit herzlichen Grüßen,

Alfons





Alfons Renz

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Anmerkung:

Hier noch das Triton-Präparat aus meinem Kasten von ca. 1957: Er macht ein etwas missmutiges Gesicht, dieser Salamander!

Alfons