Vier Gastrotriche aus dem Simmelried

Begonnen von Martin Kreutz, August 28, 2020, 22:00:18 NACHMITTAGS

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Martin Kreutz

Liebes Forum,

ich möchte hier einige Vertreter der Gastrotrichen zeigen, da ich hier offensichtlich an einem Fundort sitze, in dem auch vergleichsweise selten beobachtete Arten vorkommen. Dummer Weise sind die Gastrotrichen nicht gerade mein Einserfach und ich habe für die Identifizierung unseren Spezialisten Michael (Müller) mit meinen Aufnahmen behelligen müssen, sonst wäre es hier für mich eine Nummer zu groß geworden. Dankenswerter Weise hat mir Michael neben der Identifierung auch gleich noch ein paar Zusatzinformationen geben können, die ich hier weitergebe. Von mir also die Fotos, die Interpretation von Michael.

Zuerst der kleine und zierliche Gastrotrich Ichthydium bifurcatum. Der ist sofort erkennbar an den aufgespaltenen Zehen (Kleberöhrchen), die allerdings erst bei der Betrachtung mit dem 40 X gut sichtbar werden. Außerdem hat Ichthydium bifurcatum eine eckig vorstehende "Schnauze" (Kephalion), wie man auf den Fotos andeutungsweise erkennen kann. Leider habe ich das Exemplar nur von ventral erwischt, aber die Dorsalseite soll keine Schuppen tragen:


Pfeile: gespaltene Zehen

Bei dem zweiten Gastrotrichen handelt es sich um Aspidiophorus schlitzensis. Er ist mit 130 µm Länge genauso so klein wie Ichthydium bifurcatum und man muss mit Öl ran, um die Merkmale genau zu erkennen. Hier zwei Aufnahmen des noch nicht komplett gequetschten Exemplares:



Erst wenn das Exemplar wirklich stark gequetscht ist, erkennt man die Details besser. Die Schuppen des Rückenpanzers sind nicht direkt zu erkennen, jedoch scheinen sie lang ovale Kiele zu tragen, die deutlich hervortreten. Dies ist jedoch eine optische Täuschung! Tatsächlich sitzen die Schuppen auf Stielen. Diese lang ovalen Strukturen ist der optische Schnitt durch die Stiele! Die folgenden zwei Fotos verdeutlichen das. Auf dem linken Foto sind die Stiele optisch geschnitten (lang ovale Strukturen) und auf dem rechten Foto erkennt man, dass die gebogenen Schuppen etwas von der Kuticula des Körpers abgehoben sind (durch den Stiel). Auf dem rechten Foto ist zudem am Beginn des Darmes eine Ansammlung von hochbrechenden Vesikeln zu sehen. Diese Struktur ist typisch für Aspidiophorus schlitzensis und wird als "Magenring" bezeichnet. Seine Funktion ist unbekannt:



Hier eine Detailsaufnahme der Beschuppung von Aspidiophorus schlitzensis, auf der man besser den Aufbau der Schuppen erkennen kann. Die Schuppen (SC) sitzen jeweils auf kurzen Stielen (ST), so dass sie vom Körper etwas abgehoben sind:


ST = Stiel
SC = Schuppen

Am Hinterende erkennt man, dass die Setae aus Spezialschuppen (Sinnesschuppen = Pfeile) entspringen, die bei Aspiodiphorus fast dreieckig sind:



Bei dem dritten Fund handelt es sich um Polymerurus nodifurca. Diese Art wurde seit 90 Jahren nicht mehr beobachtet. Die Art ist sehr stattlich. Mein Exemplar war 546 µm lang. Hier eine Übersichtsaufnahme mit dem 40 X:



Die Schuppen der Dorsalseite tragen deutlich sichtbare Dornen, aber das ,,Schild" auf dem sie sitzen ist nur schwer sichtbar zu machen. In der folgenden Aufnahme, kann man aber die zarten ,,Schilde" andeutungsweise erkennen:



Hier noch zwei Aufnahmen von der Beschuppung von Polymerurus nodifurca am Hinterende und von den Zehen:



Hinter dem Schlund von Polymerurus nodifurca liegt eine auffällige ,,Spange", die als  Hypostomion bezeichnet wird. Dieses Hypostomium kommt bei vielen Arten der Gastrotrichen vor. Seine Form kann als Bestimmungsmerkmal dienen. Auf dem gleichen Foto sind die Lamellen sichtbar, welche die Mundöffnung umgeben. Diese Lamellen dienen dem Verschließen der Mundöffnung. Dadurch kann das Tier den Munddurchmesser steuern und für größere Nahrung erstaunlich weit aufreißen:



Die letzte Art ist Neogossea fasciculata. Ursprünglich habe ich die Art als Neogossea antennigera zugeordent. Im weiteren Verlauf dieses threads stellte sich heraus, dass meine Zuordnung falsch war (s. unten). Deshalb habe ich diesen letzten Abschnitt meines Beitrages korrigiert.

Diese Gattung Neogossea  ist leicht zu erkennen an den beiden ,,Eselsohren" (sensorische Tentakel), die seitlich abstehen:



Der Rückenpanzer zeigt nur Dornen. Die Schuppen scheinen sehr zart oder nicht vorhanden zu sein:



Hier noch eine Detailaufnahme des Kopfes von Neogossea antennigera und dem sich daran anschließenden goldbraun glänzenden Darm. Die Farbe kommt von phagozytierten Cryptomonaden, die wohl seine Hauptnahrung darstellen: 



Viel Spass beim anschauen dieser 4 Arten und schönen Abend

Martin


Lumi

Hallo Martin,
danke fürs Zeigen, faszinierende Aufnahmen :D

Grüße
Franz

limno

Hallo Martin,
ja bei solch wunderbaren "Behelligungen" ist wohl ein Leuchten über Michaels Gesicht gegangen, so wie Du wieder Deine Funde liebevoll für uns aufbereitet hast. Dank dafür! :) Gewundert hat mich aber, dass Dein Wasserimmersionsobjektiv nicht zum Einsatz gekommen ist. Denn das Objekt muss (anders als bei der Ölimmersion)  ja nicht am Deckglas anliegen, und somit braucht man sein Tierchen nicht zu quetschen, es sei denn überlagernde Strukturen müssen zur Seite gedrückt werden.
Dank und beste Grüße von
Heinrich
So blickt man klar, wie selten nur,
Ins innre Walten der Natur.

Michael Müller

Hallo Martin,

Zitat von: Martin Kreutz in August 28, 2020, 22:00:18 NACHMITTAGS
Dummer Weise sind die Gastrotrichen nicht gerade mein Einserfach ...

naja, für eine "1-" wirds dann wohl schon reichen!  ;)

Das sind wirklich super Aufnahmen, die mit vier Arten aus vier unterschiedlichen Gattungen einen wunderschönen Überblick über die Vielfalt der Gastrotrichen bietet. Ich durfte ja auch schon Proben aus dem Simmelried untersuchen und war jedes mal  - trotz notgedrungen nicht immer ganz frischen Proben - beeindruckt von der Vielfalt der Gastrotrichen-Fauna.
Diese Aufnahmen gehören sicherlich zu den weltweit besten von Gastrotrichen!

Auch Dein vierter Fund, den ich leider nicht vorab sehen konnte, ist beeindruckend. Ich habe noch nie einen Vertreter der Familie Neogosseidae gefunden! Glückwunsch!
Nur bei der Artbestimmung bin ich mir nicht sicher, ob Du da Recht hast. Die "Stachelschleppe" ist für N. antennigera (und der möglicherweise synonymen Art N. voigti) zu lang. Der Kopf ist eher rund und am Hinterende hat der kleine Freund einen Einschnitt, der bei N. antennigera nicht vorkommt. Man müsste die Anzahl der Stacheln in der Schleppe und das Hinterende genauer ansehen (vielleicht hast Du da noch Bilder?), aber ich glaube, Du zeigst die noch seltenere Art Neogossea fasciculata.

Zitat von: limno in August 29, 2020, 11:05:35 VORMITTAG
Hallo Martin,
ja bei solch wunderbaren "Behelligungen" ist wohl ein Leuchten über Michaels Gesicht gegangen, so wie Du wieder Deine Funde liebevoll für uns aufbereitet hast.

- da kannst Du aber Gift drauf nehmen! Es war mir wirklich ein Vergnügen.

Viele Grüße,

Michael
Gerne per Du

Martin Kreutz

Hallo zusammen,

Danke für eure netten Kommentare!

@Heinrich: Ich besitze gar kein Wasserimmersionsobjektiv! Alles in Öl! Eventuell verwechselst Du das mit der Arbeitsweise von Michael Plewka. Seine bdelloiden Rädertiere reagieren ja etwas sensibel auf aufgelegte Deckgläser. Daher nähert er sich seinen Objekten unter Wasser. Für meine Vorgehensweise brauche ich jedoch das Deckglas, denn letztendlich werden alle meine Objekte gequetscht um das Innenleben genauer zu untersuchen und natürlich die Auflösung zu steigern.

@Michael: Tatsächlich habe ich Dir die Neogossea Bilder nicht vorab zur Prüfung geschickt. Die Bilder habe ich gestern spontan an den bereits vorbereiteten Beitrag noch drangehängt. Das habe ich in meinem Beitrag falsch dargestellt! Und prompt daneben gehauen! Ich glaube, Du hast recht, das scheint tatsächlich Neogossea fasciculata zu sein und nicht N. antennigera. Ich habe in meinem Archiv noch ein ziemlich bescheidenes Bild der Stacheln gefunden:



Wenn ich richtig gezählt habe, scheinen es 8 zu sein. Das kann also nicht Neogossea antennigera sein, denn diese Art soll maximal 5 besitzen. Mit der "1-" wird das also auch nix! Interessanter Weise ist diese als selten beschriebene Art im Simmelried recht häufig zu finden. Sie mögen das Leben im Plastikbecher jedoch nicht und nur in den ersten zwei Tagen sind sie in den Proben zu finden. Ich werde morgen neue Proben holen und dem Vieh mal genauer auf den Zahn fühlen und hoffentlich bessere Bilder der Stacheln hinbekommen.

Für alle interessierten Mitleser habe ich in meinen ursprünglichen Beitrag noch ein Bild mit einer lateralen Detailansicht der Schuppen von Aspidiophorus schlitzensis zugefügt.

Schönen Abend!

Martin

limno

Guten Abend Martin,
das hatte ich falsch abgespeichert. In diesem Beitrag https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=37752.msg277601#msg277601 hattest Du lediglich den Kondensor mit Wasser immergiert.
Gute Nacht!
Heinrich
So blickt man klar, wie selten nur,
Ins innre Walten der Natur.

Michael Müller

Hallo Martin,

Zitat von: Martin Kreutz in August 29, 2020, 20:26:07 NACHMITTAGS
Und prompt daneben gehauen!
- aber nur ganz knapp! Ich wünschte ich wäre bei Ciliaten auch nur annähernd so treffsicher wie Du bei Gastrotrichen!

Wenn es keine neue Art ist, handelt es sich dann bei Deinem Exemplar eindeutig um Neogossea fasciculata. Erstaunlich, dass diese Art bei Dir häufig vorkommt, aber auch seltene Arten können eine erstaunliche lokale Abundanz erreichen. Wenn Du Gelegenheit hast, solltest Du Dir die Tiere unbedingt genauer anschauen. Die Neogosseiden sind wirklich eigenartige und nur unzureichend untersuchte Gastrotrichen. Ich bin sicher, dass sie niemals mit der Dir zu Verfügung stehenden Beobachtungsqualität erforscht wurden. Da würde mir sofort ein umfangreicher "Wunschzettel" einfallen:

  • Neogosseiden besitzen - so viel ich weiß als einzige Süsswasser-Gastrotrichen - eine paarige Rückendrüse über dem Pharynx. Es wäre toll, davon Bilder zu sehen.
  • Haben die keulenförmige Tentakel eine direkte Verbindung zu den Gehirnzelle? Sind sie strukturlos? Wie durchbrechen sie den Schuppenpanzer? Über diese Tentakel sind mit keine näheren Informationen bekannt.
  • Der eigenartige, aus mehreren Bulbi aufgebaute Pharynx ist ebenfalls einzigartig bei diesen Tieren. Wie ist er aufgebaut? Gibt es evtl. Poren nach außen?
  • Das Hinterende der Tiere ist ebenfalls einzigartig gestaltet, Wenn unsere Artdiagnose stimmt, sollten hier Rudimente der Zehen mit Krallen am Ende zu sehen sein. Dorsal drei Paar Stacheln, ventral 5-8 Paar. Das würde die Art zweifelsfrei festlegen.
  • Eigentlich sollten die Schuppen einfache rhombische Platten (wie bei N. antennigera) sein. Bei Deinen Fotos sind sie aber eindeutig dreieckig mit distalem Einschnitt (wie bei N.voigti beschrieben). Es besteht der Verdacht, dass N.voigti und N. antennigera trotz unterschiedlicher Schuppen die selbe Art sind. Es wäre also interessant, ob auch bei  N. fasciculata Varianten mit pfeilförmigen Schuppen vorkommen. Vielleicht kannst Du da nochmals genauer hinschauen?

Ich merke schon, dass meine Wunschliste so unverschämt wird, wie die Weihnachtsliste bei einem Sechjährigen!  :)
Es gibt bei Gastrotrichen einfach so viel zu entdecken.

Viele Grüße

Michael
Gerne per Du

Ole Riemann

Hallo Martin (und Michael, der hier ja auch stark beteiligt ist),

herzlichen Dank für Eure hervorragende Gastrotrichen-Präsentation in Wort und Bild. Toll, was da zusammen kommt.

Viele Grüße

Ole

Martin Kreutz

#8
Hallo Michael,

das Abarbeiten von Wunschlisten bin ich gewohnt. Vom Foissner habe ich manchmal gleich mehrere parallel auf dem Tisch gehabt. Manchmal vergingen zwischen Wunsch und Erfüllung jedoch viele Jahre, bis ich die gewünschten Viecher mal wiederfand. Bei Deiner ging es schneller! Ich bin gestern noch bei Haut verjüngendem Dauerregen zum Simmelried und habe etwa 10 Proben gezogen. In einer fand sich Neogossea fasciculata wieder, so dass ich gleich liefern kann. Die folgenden Aufnahmen stammen von 5 Exemplaren, die dafür herhalten mussten.

Ich gehe Deine Liste chronologisch durch. Zuerst die paarigen Rückendrüsen. Die sind tatsächlich sehr gut zu sehen. Hier von dorsal betrachtet. Sie liegen oberhalb vom Pharynx und zeigen viele Sekretkugeln:



Bei dem obigen Exemplar scheint es eine zweilappige Drüse sein. Bei einem weiteren Exemplar, welches ich jedoch von ventral betrachtete, waren es separate Drüsen. Für die folgende Aufnahme habe ich auf die dorsale Seite durchfokussiert:



Jetzt die Tentakel. Schwer zu beobachten. Bei zu großem Deckglasdruck, gerade wenn die Auflösung annehmbar wird, denaturieren sie bereits und füllen sich mit Bläschen. Ich musste also kleinere Brötchen backen und einiges verschenken. Aber man erkennt, dass es sich bei den Tentakeln offensichtlich um Ausstülpungen der Cuticula handelt (hochbrechender Rand). Sie sind von einem dünnen Faden durchzogen. Das halte ich für den Ausläufer einer Nervenzelle, was aber schon eine gewagte Interpretation ist:



Der dreiteilige Pharynx ließ sich dagegen recht einfach beobachten. Hier mit geöffneten Schlund. Am Anfang des Schlundes zwei kleine Klappen, die ihn nach außen abschließen:



Hier mit geschlossenen Schlund und höherem Deckglasdruck:



Eine Verbindung nach außen konnte ich nicht feststellen.

Das Hinterende mit den beiden krallenartigen Zehen (Pfeile):



Die Form der Schuppen ist im DIK extrem schwer zu erfassen. Auf der folgenden Aufnahme ist eine Ausschnittvergrößerung die ich extrem stark kontrastiert habe um überhaupt was zu erkennen. Die Pfeile weisen auf 3 Schuppen, deren Form man halbwegs erahnen kann. Sie sind keinesfalls rhombisch, sondern meiner Ansicht nach "verkehrt wappenschildförmig", nach der Nomenklatur von Schwank (Schuppe Typ 4, s. 5):



Hier die Beschuppung der ventralen Seite (im ursprünglichen Beitrag zeige ich die dorsale Beschuppung):



Die Schuppen am Kopf, dorsale Seite:



An der Auflösungsgrenze erkennt man, dass die Schuppen scheinbar eine kleine Doppelspitze haben. Ich konnte in lateraler Ansicht erkennen, dass sie einem sehr zarten Kamm tragen, der in einer separaten Spitze auszulaufen scheint:



Wo ich die Viecher schon unter dem Deckglas hatte, habe ich noch ein paar weitere Details festgehalten. Hier die Bestachelung des Schlundes:



Der Darminhalt. Neogossea soll sich algivor ernähren und auch Cryptomonaden nicht verschmähen. Der Darminhalt spricht dafür. Die großen Ölkugeln könnten von Goldalgen stammen (Leukosin):



Die Bewimperung des Kopfes auf der ventralen Seite. Auf jeder Seite 3 Bänder von Cilien. Bei der zweiten Aufnahme habe ich auf die Basalkörper dieser Cilien fokussiert. Dadurch erkennt man deren Anordnung besser:




Und hier noch die Zahl der ventralen Stacheln in stark gequetschten Exemplar. Es sind 8 Stacheln pro Körperseite:



Ich habe die Probe noch da. Wenn Du jetzt noch Wünsche hast, dann ist die Chance zur Prüfung noch da!

Schönen Abend!

Martin


Michael Müller

Hallo Martin,

ist denn schon wieder Weihnachten?  ;D
Vielen Dank für die prompte Lieferung mit Deine wundervollen und informativen Bildern. Du bist sicherlich der Erste, der Informationen von dieser Qualität bei Neogossea fasciculata liefern konnte!

Für mich sind besonders die Bilder der Rückendrüsen interessant. Rückendrüsen sind aus dem marinen Bereich bekannt und im Süßwasser nur für Neodosseiden beschrieben. Ich treffe aber auch bei anderen Arten recht häufig auf Ansammlungen von Sekrettröpfchen, die ich aber keiner organischen Struktur zuordnen konnte und die individuell verteilt zu sein scheinen - ein bisschen so, als ob die Tröpfchen von den Hautzellen ausgeschieden werden würden und dann sich an geeigneten Stellen sammeln würden. Dass auch hier die Stellen individuell unterschiedlich sind, finde ich daher sehr interessant. Vielleicht mache demnächst mal einen Beitrag über diese Sekrettröpfchen.

Die Tentakel sind offensichtlich zusätzlich zu den "normalen" Tasthaarbüschel vorhanden und haben wohl eine sensorische Funktion. Interessant ist, dass sie nicht reine kutikulare Gebilde sind (wie z.B. die Schuppen) sondern von Kutikula umgebenes Gewebe. Ob die feine Struktur, die Du zeigst, wirklich ein Ausläufer einer Nervenzelle ist, kann man wohl so nicht entscheiden, ist aber sehr plausibel. Was mag nur die Funktion der Tentakel sein - zum Tasten gibts ja schon die Haare. Vielleicht ein chemischer Sensor?

Die "Verschlussklappen" des Pharynx waren mir nicht bekannt und ich habe davon auch noch nie in der Literatur gelesen. Da wäre es mal interessant, diese in Funktion zu sehen. Der Pharynx ist insgesamt sehr eigenartig gebaut.

Die Zehenrudimente mit den Krallen und die 8 Paar langer, ventraler Stacheln legen die Art eindeutig als Neogossea fasciculata fest. Umso eigenartiger, dass die Schuppenform von der Literaturangabe (rhombisch) eindeutig abweicht. Ob man diese als "umgekehrt wappenschildartig" (rundes Ende) oder "pfeilförmig" (Spitze) bezeichnen möchte, ist egal - jedenfalls sind sie eindeutig dreieckig mit starkem distalen Einschnitt. Die Doppelspitze der Stacheln hat vor Dir noch niemand erkannt. Wie ist diese Abweichung zu erklären? Ich sehe da letztendlich zwei Möglichkeiten: entweder Du hast eine neu Unterart / Variante gefunden oder Deine Vorgänger haben das Schuppenbild falsch interpretiert. Die Schuppen sind wohl nur schwer ablösbar, so dass ich nicht glaube, dass die Schuppen vereinzelt werden konnten und daher nicht gut beurteilbar sind. Wenn man - wie Du - die Schuppen im Verbund beschreiben will, muss man sehr sorgfältig sein und die optische Qualität muss tadellos sein. Ansonsten können die vielen Kanten und Linien leicht eine völlig andere Schuppenform vortäuschen. So ist z.B. bei Polymerurus rhomboides die falsche Schuppenform (rhombisch) sogar in den Namen eingegangen und erst viel später stellte sich heraus, dass die Schuppen oval sind. Ich könnte mir also gut vorstellen, dass die Schuppen falsch beschrieben wurden und bei genauer Untersuchung immer Deine Schuppenform gefunden würde - aber das ist reine Spekulation.

Es ist faszinierend, wie viele Einzelheiten Du mit deiner Optik und Deiner Erfahrung zeigen kannst. Die obigen Untersuchungen würden (abgesehen von der zu kleinen Stichprobe) für eine Neubeschreibung der Art ausreichen. Du stößt hier in Regionen vor, die - zumindest bei Gastrotrichen - völlig unerreichbar waren. Ich bin mir sicher, dass Du die Kenntnisse zu (nahezu) jeder Art, die Du untersuchst, vervielfältigen könntest! Gerade bei dem etwas abseitigen Thema "Gastrotrichen" ist der Kenntnisstand lange nicht so groß wie z.B. bei den Ciliaten. Es würde sich sicher lohnen, wenn Du ab und an auch mal Gastrotrichen aufs Korn nehmen würdest.

Vielen Dank für Deine tolle Arbeit und bis bald,

Michael
Gerne per Du

Martin Kreutz

Hallo Michael,

es freut mich, dass ich auf dem Gebiet der Gastrotrichen etwas Forschung betreiben durfte und sogar neue Aspekte zutage förderte. Dazu habe ich mein Mikro ja und das mache ich am liebsten. Heute abend habe ich mir die Probe nochmal vorgenommen und tatsächlich nochmal 4 Exemplare gefunden. Damit habe ich verschiedene Experimente durchgeführt, um zu versuchen die Schuppenstruktur klarer dazustellen. Das erste Exemplar habe ich mit SDS behandelt, mit dem man auch die Kauer von Rädertieren freilegt. Das klappte auch bei dem Exemplar von Neogossea fasciculata. Die Kuticula mit den Schuppen liegt dann leer und transparent vor einem. Eigentlich ideal, jedoch war der Kontrast der Schuppen danach so schwach, dass auch DIK nichts mehr rausgeholt hat. Das zweite Exemplar habe ich dann nach meiner bewährten 20 kg Methode behandelt. Taschentuch auf das Deckglas und mit dem Daumen beherzt andrücken. Darf auch etwas weh tun. Danach hat alles die ideale Schichtdicke. Das war bei dem zweiten Exemplar zwar auch so, aber auch hier war bei dem geplätteten Exemplar der Kontrast der Schuppen so gering, dass nichts herauszuarbeiten war. Das dritte Exemplar habe ich dann nach meiner Standardmethode präpariert. Erst waschen (also erst von allen anderen Viechern und Fremdkörpern in der Probe befreien) und dann mit der richtigen Menge Wasser das Deckglas auflegen. Wenn das Exemplar festliegt warten, bis das Wasser langsam verdunstet. Diesmal wollte ich es genau wissen. Mein Kamera hat eine sehr nützliche Lupenfunktion, mit der ich das Live-Bild vergrößern kann. Dadurch lässt sich der Fokus sehr genau steuern. Ich habe beim langsamen Verdunsten und immer besser werdender Auflösung etwas 20 Bilder aufgenommen. Nur 2 davon waren akzeptabel. Das erste zeigt nochmal den Kamm auf den dorsalen Schuppen und die deutlich sichtbare zweite Spitze:



Das Bild ist s/w, weil ich es in Photoshop ziemlich durch die Mangel drehen musste und zu viele Farbartefakte entstanden. Dies gilt auch für das zweite Bild, auf dem die Schuppenform nochmal deutlicher zu sehen ist (umgekehrtes Wappenschild). Es sind definitiv keine Rauten! Man erkennt es deutlicher, wenn man sich das Bild :



Besonders das zweite Bild ist für mich das Limit. Mehr kann ich aus meiner Optik nicht rausholen. Daher glaube ich schon, dass die frühen Beobachter eventuell gar nicht die Einzelschuppen gesehen haben, sondern das Muster der sich überschneidenden Schuppenschilde auf dem Rückenpanzer.

Ich habe auch versucht die Schuppen von der Kutikula abzuscheren, in dem ich ein Exemplar unter dem Deckglas gerollt habe. Die Schuppen lassen sich aber auf diese Weise nicht ablösen. Bisher kenne ich auch nur einen Gastrotrichen, bei dem sich die Schuppen ablösen lassen und das ist Chaetonotus robustus.

Schönen Abend!

Martin

Michael Müller

Hallo Martin,

da hat Dich wohl der Ehrgeiz gepackt und Du wolltest es ganz genau wissen - so funktioniert Wissenschaft!
Deine Schuppenanalyse ist zweifellos richtig und die möglicherweise falschen Angaben Deiner Vorgänger sind bei diesem schwierigen Objekt verständlich.
Bei den meisten Gastrotrichen-Arten sind die Schuppen nur an der Vorderseite mit der Kutikula verwachsen. Das ermöglicht - auch bei größeren und überlappenden Schuppen - die erstaunliche Beweglichkeit der Bauchhärlingen. Bei kleinen und nicht überlappenden Schuppen - wohl auch hier -  kann es vorkommen, dass die Schuppen flächig mit der Kutikula verwachsen sind. Dann sind diese nicht ablösbar und die "klassische" Schuppenanalyse ist dann schwierig. Die Schuppen sind dann sozusagen nur eine Verdickung der Kutikula. So führt z.B. Schwank für die nahe verwandte Art N. voigti drei verschiedene Angaben für Schuppenformen von drei verschiedenen Autoren (oval bis pfeilförmig) auf und hält es auch für möglich, dass die Art synonym zu N. antennigera mit den "rhombischen" Schuppen ist. Sobald man bei einer Artbeschreibung "Schuppen +/- stark mit der Kutikula verwachsen" oder "Schuppen schwer ablösbar" liest, sollte man die Schuppenform immer mit Vorsicht genießen!
Prinzipiell entsprechen Deine Versuche zur Schuppendarstellung der klassischen Schuppenanalyse: Entfernen der Weichteile (ich nehme dazu Eisessig, Essig-Essenz aus dem Haushalt geht auch) und Vereinzeln der Schuppen durch Druck oder Rollen der Tiere. Meist klappt das auch bei den größeren Schuppen ganz gut:


Chaetonotus laroides: ungefärbte Schuppen

Aber bei Deiner Beobachtungsqualität kannst Du Dir den Aufwand bei größeren Schuppen wohl sparen - die Form ist so aber direkter beobachtbar. Manchmal sind die Schuppen aber so dünn, dass man - zumindest ich - Schwierigkeiten mit dem Kontrast bekommt. Deshalb färbe ich die Schuppen mit Eosin (der Farbstoff in der roten Tinte), das als einziger der von mir getesteten Farbstoffen
die Schuppen (und die Kutikula) färbt. Idealerweise erhält man dann etwa sowas:


Chaetonotus simrothi: gefärbte Schuppen

Wenn die Schuppen mit der Kutikula verwachsen sind, könnte eine Färbung (wegen der unterschiedlichen Dicke) durchaus etwas Kontrast geben. Ob sich aber ein solcher Aufwand lohnt, kann ich nicht sagen. Die Schuppenpräparation habe ich mal hier dargestellt: https://www.mikro-tuemplerforum.at/viewtopic.php?f=57&t=716&p=2409&hilit=zelinkai#p2409

Ich halte Deine Ergebnisse auch ohne Färbung für herausragend. Solltest Du die Färbung wirklich versuchen wollen, wünsche ich Dir viel Erfolg.

Viele Grüße,

Michael
Gerne per Du