Eine "ungewöhnliche" Schraubenalge

Begonnen von Michael Plewka, April 12, 2023, 21:31:39 NACHMITTAGS

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Michael Plewka

Hallo zusammen,

entspräche  das folgende Bild der Realität, so würde  es in der Tat einen seltenen Sachverhalt zeigen. leider aber ist das folgende Bild  "fake-news", wie man heute so schön auf  neudeutsch sagt.
Sicherlich werden die meisten Mitlesenden sofort erkennen, was an diesem Bild nicht der Wahrheit entspricht:



Die Menschen sind von der Regelmäßigkeit der unbelebten Natur (>> Kristalle) genauso fasziniert wie von der Symmetrie in der belebten Natur, sei es die Bilateralsymmetrie bei Schmetterlingen oder manchen Zieralgen oder die punktsymmetrischen Formen von beispielsweise Blüten, Kieselalgen oder Korallen. 

Aber es gibt bei Organismen auch deutliche Asymmetrien, wie z.B. Schneckenhäuser oder  (wie im Mikroforum schon mehrmals erwähnt) die "Räderbewegung" bei Rädertieren.  Dabei verhalten sich zwei mögliche Individuen zueinander  so wie die linke und rechte Hand beim Menschen: sie sind spiegelbildlich zueinander >>> "Händigkeit".

Bei den Schneckenäusern  zeigt sich auch, dass in der Natur bei manchen  Arten  ein bestimmtes  Spiralwachstum bevorzugt wird. So liegt beispielsweise   die Öffnung des Schneckenhauses   dieser Murex-Schnecke  meist rechts (aus fotografietechnischen Gründen steht dieses Gehäuse auf dem Kopf; die Öffnung ist also definitionsgemäß rechts) .   





Auch bei der Weinbergschnecke ist das so, aber da gibt es seltene Ausnahmen, d.h. linksgewundene Formen.    Bei der Weinbergschnecke liegt beispielsweise  die Häufigkeit von diesen linksgewundenen Formen  bei 1:40 000, so dass diese seltene Form dieser Art auch als "Schneckenkönig" bezeichnet wird.

Bei manchen Zieralgengattungen wie z.B. Micrasterias  liegt  eine typische Bilateralsymmetrie vor. Das  ist  bei der Schraubenalge Spirogyra anders.  In diesem Forum darauf hinzuweisen, dass es Schrauben mit Rechts- oder Linksgewinde gibt, hieße Eulen nach Athen zu tragen; zu der Gattung Spirogyra jedoch heißt es im "Wassertropfen": "Chloroplasten.... bilden linksgewundene Wendel"

Wie so oft bei Beobachtungen der Natur stellt sich auch hier die Frage: Was ist die Ursache für diese Bevorzugung einer Windungsrichtung? Kann diese Richtung eine Funktion haben?  Und außerdem: Ist das immer so?
Und damit komme ich zu dem obigen Bild der Spirogyra, welches durch einfache Bildbearbeitung spiegelverkehrt dargestellt ist, was somit - im Gegensatz zu (weitestgehend) bilateralsymmetrischen Organismen-  in diesem Fall  "fake news" ist. Auf dem Foto ist also -fälschlicherweise- eine rechtsgewundene Spirogryra zu sehen.

Geht man aber nun von den Zahlenverhältnissen bei den Weinbergschnecken aus (die ja für den Menschen auch als Nahrungsmittel von großer Bedeutung sind und deshalb viel beachtet werden),  so kann mann sich fragen: haben die Mikroskopiker(innen) dieser Welt bereits 40 000 Spirogyra-Fäden mit Fokus auf deren Chloroplasten-Windungsrichtung untersucht?

Vielleicht lässt sich ja ein "Schrauben-König" finden....
Nur mal so laut nachgedacht & beste Grüße

Michael Plewka

purkinje

Mir war und ist es immer eine Freude Ihre Beiträge zu lesen. Auch Ihre Website habe ich von Zeit zu Zeit sehr gerne besucht, kurzer Hinweis, oder gehen nur bei mir viele ihrer Links dort gerade nicht, oder hat sich dort was anders drehendes eingeschlichen?  ;)

schmidt

Dazu muss man bei den Spirogyra-Arten (bei Euglenophyceen ist es dassselbe Problem) auch noch beachten wie die Optik des Mikroskopes das Bild umkehrt und ob der jeweilige Autor das berücksichtigt hat.
Die Frage ist, hat es einen bestimmten Sinn, oder ist es zufällig so entstanden und ins Erbgut gekommen und so geblieben, weil es keinen Nachteil hat.  Es reicht ja das etwas nicht schädlich ist, es muß nicht nützlich sein um von der Selektion übersehen zu werden ?
Mikroskope:
Lomo Biolam Ph+; DF; HF-Abbe; Epi HF/DF/Pol; Epi-Fl; //Biolar DIK, IK, Ph variabel+-//
Nikon Eclipse -U  HF; DIK, Ph+, Epi-Fl//
MBS 10

Wolfgang Bettighofer

Lieber Michael,

vielen Dank für diesen sehr interessanten Beitrag! Bis zur Auflösung des Fake-Rätsels hatte ich mich ohne zum Ergebnis zu kommen gefragt, was der Fake am Foto sein könnte. Das mit der Wendelseitigkeit der Spirogyra hatte ich nicht auf dem Schirm, das Phänomen bei Weinbergschnecken kannte ich tatsächlich, weil es einen hier in Wien bekannten Weinbergschneckenzüchter gibt, welcher in einem Interview mal von diesem Phänomen berichtet hat. Schneckenkönige, sagte er, brauchen zur Fortpflanzung ebenfalls einen Scheckenkönig-in.

Herzliche Grüße
Wolfgang
Hier gibt es was für Einzellerfreunde: www.protisten.de. Seit Mitte 2024 vollkommen überarbeitet und neu strukturiert!

Heiko

Hallo Wolfgang,

folgt man diesen Ausführungen https://royalsocietypublishing.org/doi/10.1098/rsbl.2020.0110
ist dem ,,König" jede ,,Königin" recht – und das Ergebnis sehr oft wenig königlich.
:)

Herzliche Grüße,
Heiko 

Michael Plewka

Hallo zusammen,

vielen Dank für das Feedback!

@ Stefan: wenn es Probleme mit den links auf der "plingfactory" gibt, ist es zielführend, eine Nachricht zu schicken, damit das Problem behoben werden kann.

@ schmidt: analog zu einer Schraube, bei der man erkennen kann, ob Links- oder Rechtsgewinde vorliegt, egal von welcher Seite man diese betrachtet, ist die Windungsrichtung des Chloroplasten bei Spirogyra selbstverständlich unabhängig vom benutzten Mikroskop.
Zitat....bei Euglenophyceen ist es dassselbe Problem...
Ist bei diesen Organismen die Windungsrichtung einheitlich? Ich meine da (bei Lepocinclis) Unterschiede festgestellt zu haben. Aber auch diese Frage könnte von einer Vielzahl von mikroskopisch aktiven Menschen genauer geklärt werden.

@ Wolfagang & Heiko:
sehr interessante Infos zu den Schnecken.  Die Antwort auf die weitere Frage, ob die Konjugation von Spirogyra zwischen Formen mit unterschiedlichen "Drehrichtungen" der Chloroplasten (??? Zellen"") überhaupt möglich wäre (in dem oben gezeigten Foto ist sie ja gleichsinnig), wäre z.Zt.  selbstverständlich  auch sehr spekulativ.....


Beste Grüße
Michael Plewka

Gunther Chmela

Es gibt offenbar (vielleicht?) noch eine andere Bedeutung des Begriffs "Schneckenkönig". Ich habe dazu allerdings keine andere Quelle gefunden, als die Aussage meines ehemaligen Zoologie-Professors Luther (lang, lang ist's her) an der TH (jetzt TU) Darmstadt. Ich zitiere sinngemäß:

Normalerweise wird das Größenwachstum der Schnecke mit Erreichen der Geschlechtsreife beendet. Es gibt aber Exemplare, bei denen die Gonaden während der Entwicklung durch Parasiten zerstört werden. Diese Schnecken wachsen dann weit über das normale Maß hinaus und erreichen Größen bis zum deutlich Doppelten der üblichen Größe, und die nennt man Schneckenkönige.

Ich bitte um Entschuldigung, daß ich den Faden jetzt in einer anderen Richtung weitergesponnen habe.

Schöne Grüße an alle
Gunther

Wolfgang Bettighofer

Guten Tag, Gunther! Ich freue mich! Vielleicht bekommen wir die Ur-Kornraden-Runde noch komplett!

Zur rechts- und linksdrehenden Schnecke.
Das Paper der Königlichen Gesellschaft ist interessant, vielen Dank für die Verlinkung! Aus dem Text lässt sich aber nicht erschließen, dass der von mir zitierte Schneckenzuchtpraktiker in seiner Einschätzung fehlgeht:
"(c) Breeding strategy—crosses
To understand the possible inheritance of sinistrality in garden
snails, a three-generation mating programme was undertaken,
necessary in case the phenotype was due to a recessive maternal
effect allele (figure 2; see above). To achieve this, sinistral garden
snails
were brought to the laboratory at Nottingham and bred;
these individuals were assumed to be virgin, because sinistral
snails are not usually able to mate with dextral snails.
 

Zur weiteren Frage aus dem Thread, ob die Biologen auch genug von optischen Gesetzen verstehen:
Das Bild einer Linse steht auf dem Kopf und ist seitenverkehrt, also doppelt gespiegelt. Daher sieht man ein Linksgewinde weiterhin als Linksgewinde, ob man durch's STEMI oder durch das zusammengesetzte Mikroskop anschaut.

Herzliche Grüße
Wolfgang

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Gunther Chmela

Grüß Dich, Wolfgang!

Nur, damit kein Mißverständnis aufkommt: Ich hab die Erklärung, die Du hier für den "Schneckenkönig" wiedergegeben hast, auf keinen Fall anzweifeln wollen. Ich hab mich nur an die eindrucksvolle Schilderung Luthers damals in einer Vorlesung erinnert, die er mit Vergleichsbildern untermauert hat.
Aber da die Zoologie, wie Du sicher wissen wirst, nicht gerade mein Hauptinteressengebiet ist, hab ich mich auch nie mehr mit dem Thema befaßt.

Zur Urkonrade: Ich hab hier ein Gruppenfoto, das alle Teilnehmer der ersten Konrade (2004) zeigt. Ich bin mir aber jetzt nicht sicher, ob ich das Bild hier so ohne weiteres veröffentlichen darf. Wenn Du (oder Detlef, oder Gerald ...) einverstanden bist, sag mir Bescheid.

Herzliche Grüße
Gunther

Wolfgang Bettighofer

Lieber Gunther,

deinen Beitrag zur Schneckizität habe ich schon so verstanden, wie du ihn verstanden haben wolltest. Und, ja, ich freue mich auf das Ur-Kornrade-Foto!
18 Personen waren wir, und wir saßen, wie du damals berichtet hast, in einem kleinen Hörsaal, in welchem du Jahrzehnte zuvor, Chemie-Vorlesungen gehört hattest.

Herzliche Grüße
Wolfgang
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Gunther Chmela

#10
Lieber Wolfgang,

Du bekommst in Kürze eine E-Mail von mir, damit wir hier diesen Faden nicht endlos zweckentfremden.

Bis gleich!
Gunther


Detlef Kramer

Und jetzt mach ich auch noch einen drauf, aber ich wurde ja gefragt! Lieber Gunther, ich freue mich, von Dir zu hören und habe natürlich nichts gegen ein Foto hier. Verzeih mir, Michael.

Detlef
Dr. Detlef Kramer, gerne per DU

Vorstellung: Hier klicken

Gerald

#12
Hallo Michael,

vielen Dank für den interessanten Beitrag. Symmetrische Formen in der Natur finde ich sehr ansprechend (ästhetisch) und für mich als Betrachter auch beruhigend (aufgeräumt).

Ich habe da noch eine interessante Textstelle zum Schneckenkönig gefunden:

"...Eine japanische Studie so genannter Satsuma-Schnecken (Satsuma sp, Familie Camaenidae) hat ergeben, dass links gewundene Exemplare in der Natur einem geringeren Selektionsdruck durch Schneckennattern (Pareas iwasakii) unterliegen. Diese Schlangenart hat sich so gut an die Schneckenjagd angepasst, dass sie rechts mehrere zusätzliche Zähne haben, um die Schnecken besser packen können. Dies gelingt bei links gewundenen Schnecken nicht so gut. Daher ist der Anteil links gewundener Schnecken in Gebieten, in denen Schneckennattern vorkommen, entsprechend größer.

Hierzulande gibt es allerdings keine Schneckennattern und der Selektionsdruck durch Fressfeinde dürfte bei Schneckenkönigen und bei herkömmlich rechts gewundenen Weinbergschnecken vergleichbar sein. Dies erklärt auch zusätzlich die große Seltenheit der Schneckenkönige - es fehlt der Selektionsvorteil, der die Nachteile bei der Paarung ausgleichen würde..."

Quelle: https://www.weichtiere.at/Schnecken/land.html?/Schnecken/land/windung.html

Viele Grüße

Gerald