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Asymmetrie

Begonnen von Michael Plewka, August 04, 2020, 09:53:59 VORMITTAG

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Michael Plewka

Hallo zusammen,

Es ist natürlich ziemlich banal, in diesem Forum darauf hinzuweisen, dass der Name der Rädertiere auf das ,,räderartige" Erscheinungsbild ihres Vorderteils zurückgeht. Trotzdem ich mich mittlerweile schon etwas länger mit dieses Viechern auseinandersetze, gibt es aber  immer noch bestimmte Phänomene, die für mich  faszinierend sind, und auch solche, die ich immer noch nicht wirklich verstehe.

Ebenfalls bekannt dürfte   bei den Leser(inne)n dieses Forums sein, dass sich bei den Rädertieren  nicht wirklich irgend etwas dreht, es handelt sich also bei dieser Wahrnehmung um eine optische Täuschung.

Bei den hier im Fokus stehenden bdelloiden Rädertieren befinden sich an den Säulen am Vorderteil prinzipiell 3 Gruppen von Cilien:
1.ganz vorn ist ein Kranz aus langen Cilien, der sog. Trochus (Tr).
2.dahinter befinden sich ein  Feld kurzer Cilien, die sich bauchwärts bis zum Rachen ziehen (apikales Feld (CiF).
3.dahinter befindet sich ein weiterer Kranz langer Cilien, der unvollständig ist (Cingulum, Ci).
Hier das ganze nochmal verdeutlicht an Didymodactylos carnosus, einem recht häufigen Rädertier,
das in Moos vorkommt:



Mehr Infos dazu hier:
http://www.plingfactory.de/Science/Atlas/KennkartenTiere/Rotifers/01RotEng/source/Didymodactylos%20carnosus.html


Die ,,Drehachse"  der scheinbaren Drehbewegung des Trochus ist parallel zur Körperlängsachse; die scheinbare Drehbewegung verläuft also senkrecht dazu.  Wie bewegen sich nun diese Cilien? Man könnte nun vermuten, dass sich die Cilien ebenfalls in der Drehrichtung bewegen. Das ist aber nicht der Fall,  sondern die Cilien bewegen sich m.o.w. senkrecht dazu, also parallel zur Körperlängsachse. Das kann man hier bei dem Rädertier Rotaria macrura  sehr schön nachvollziehen:


Mehr Infos dazu hier http://www.plingfactory.de/Science/Atlas/KennkartenTiere/Rotifers/01RotEng/source/Rotaria%20macrura.html


Es handelt sich somit ebenfalls um eine laeo-bzw. dexioplektische Bewegung, die man von den Ciliaten her kennt; siehe hier:
https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=38135.0
Der Zoologe Zelinka hat das (1893) in folgender Zeichnung für eine der Räderscheiben (die hier frontal zu sehen ist) dargestellt:




Ebenfalls von Zelinka stammt die Vorlage zu der nächsten Abbildung, welche den Wasserstrom visualisiert, der durch die Cilienbewegung hervorgerufen wird. Der Wasserstrom wurde im Präparat durch Karminkörnchen (hier karminrot dargestellt)  sichtbar gemacht. Die türkisfarbenen Pfeile markieren die Strömungsrichtung:




Ich gebe zu, dass, obwohl ich schon ziemlich lange mikroskopiere und zumindest  die  aquatischen Rädertiere wie Rotaria rotatoria oder Rotaria macrura  schon Hunderte von Malen gesehen habe, mir erst jetzt einige Befunde bzw. Fragen ins Bewusstsein gekommen (auf die ich auch früher hätte kommen können) sind.

Bei der Dominanz unseres mechanistischen Weltbildes liegt es natürlich nahe anzunehmen, dass diese ,,Zahnrädchen" bei den bdelloiden Rädertieren sich eben wie zwei ineinandergreifende Zahnrädchen verhalten, soll heißen, sie bewegen sich mit entgegengesetzter Drehrichtung.  Häufig gehen wir davon aus, dass wenn ein Objekt symmetrisch erscheint, paarweise vohandene Teile spiegelsymmetrisch zueinander sind. Auch bei zwei- bzw. viermotorigen Propellerflugzeugen dreht sich die Hälfte der Propeller entgegengesetzt zu den anderen.

Auch die türkisfarbenen Pfeile im obigen Bild suggerieren diese Symmmetrie.

  Das ist aber nicht so. Die scheinbare Bewegungsrichtung der Cilien verläuft bei beiden Rädersäulen  in dieselbe Richtung. Die ,,Drehrichtung" ist also asymmetrisch. Zelinka hat das seinerzeit am Rädertier Mniobia magna untersucht; dieses findet man ebenfalls recht häufig in trockenem Moos, das zuvor gewässert wird. Diese Tiere sind dann recht gierig nach Nahrung und lassen sich bei der Beobachtung durch das Licht des Mikroskops und Erschütterungen nicht stören. Zudem rädern sie häufig in senkrechter Stellung, so dass man manchmal das Räderorgan in der Fläche im Fokus hat. hier zwei Bilder davon (beide Aufnahmen ohne Deckglas). Das erste zeigt die Räderscheiben in Frontalansicht:




Das zweite Bild zeigt Mniobia magna im Winkel von ca. 45 Grad von unten; man erkennt zum einen die beiden trochalen Cilienkränze, aber auch den herzförmigen Rachenraum:


Mehr dazu hier:http://www.plingfactory.de/Science/Atlas/KennkartenTiere/Rotifers/01RotEng/source/Mniobia%20magna.html



Ausgehend von dem obigen Befund stellen sich dann natürlich sofort weitere Fragen:

1.In welcher Richtung  Richtung scheinen  denn nun die ,,Räder" zu laufen?
2.kann das Rädertier auch anderesherum?

Wie aus der obigen Zeichnung Zelinkas schon hervorgeht, ist die Cilienbewegung bei M. magna immer so, dass der Eindruck eine Drehung entgegen dem Uhrzeigersinn entsteht, wenn man die Viecher von vorn betrachtet.  Ich selbst habe bisher bei dieser Art noch keine andere ,,Drehrichtung" gesehen. Daran schließt sich natürlich sofort die Frage an, wie es bei anderen Arten von Bdelloiden ist: bei den von mir beobachteten bdelloiden Arten ist die ,,Drehrichtung" ebenfalls immer entgegengesetzt zum Uhrzeigersinn gewesen.

Da manche bdelloide Rädertiere doch so häufig sind, dass sie hier im Forum auch (meist zu Testzwecken für fotografische Einrichtungen) präsentiert werden, möchte ich mal anregen , in Zukunft darauf zu achten und vielleicht zu berichten.

Man kann die Frage nach der Asymmetrie der Drehrichtung von Cilienbewegungen auch noch  auf andere Organismengruppen ausweiten: wie verhält es sich mit der ,,Drehbewegung" beispielsweise
bei der anderen Gruppe von (planktischen) Rädertieren, wie z.B. Floscularia, Filinia, Hexarthra, um ein paar Beispiele von Arten mit einem Wimperkranz zu nennen, die hier im Forum schon gezeigt worden sind. Ich selbst habe bisher zugegebenermaßen noch nicht darauf geachtet und in der mir bekannten Literatur kann man dazu auch nichts (siehe weiter unten) finden.

Heutzutage besteht natürlich auch die Möglichkeit, die Drehrichtung per Video zu dokumentieren. Dazu muss man sich aber bewusst sein, dass bei diesen Drehbewegungen, auch wenn sie nur scheinbar sind, das Shannonsche Abtasttheorem berücksichtigt werden muss. Man kennt das aus alten Western-Filmen, wo die Kutsche nach rechts fährt, sich die Räder aber entgegengesetzt zum Uhrzeigersinn drehen, weil die Bildfrequenz der FilmKamera die Drehfrequenz der Räder nicht genau genug erfasst (Aliasing). D.h. mit großer Wahrscheinlichkeit sind die meisten der Canon-Kameras, die hier im Forum so häufig favorisiert werden, nicht geeignet (eigene Erfahrung). Mit den verschiedenen Smartphones wird es wohl gehen; ich habe einige Videos für Dokumentationszwecke mit 180 fps (Panasonic GH5) aufgenommen, da scheint es zu funktionieren. Hier noch einige weitere Bilder :

Otostephanos regalis:



weitere Infos hier:
http://www.plingfactory.de/Science/Atlas/KennkartenTiere/Rotifers/01RotEng/source/Otostephanos%20cf%20regalis.html


und Philodina flaviceps im Moment der Entfaltung der Krone (die vorher zurückgezogen war):



Weitere Infos dazu hier:
http://www.plingfactory.de/Science/Atlas/KennkartenTiere/Rotifers/01RotEng/source/Philodina%20flaviceps.html

Bei  Phänomenen im Bereich  der ,,Naturkunde"  stellt sich eigentlich immer die Frage:
Warum ist das so?

Diese Frage beinhaltet in der Biologie prinzipiell immer zwei gleichwertige Aspekte:
die Frage nach der Ursache
die Frage nach dem ,,Zweck"

Bezogen auf den ,,Zweck": in dem Fall der asymmetrischen Drehrichtung hat Zelinka seinerzeit argumentiert, dass aus hydrodynamischen Gründen der Wirkungsgrad bei der vorgefunden asymmetrischen Drehrichtung  weitaus höher sei als bei symmetrischer Drehrichtung.  Insofern habe die Natur hier ,,optimiert". Mein Fachwissen auf dem Gebiet ist kaum größer als Null, so dass ich dieses Argument nicht nachvollziehen kann.

Spannend ist auch die Frage nach der Ursache: zwar ist nachgewiesen, dass diese Cilienpolster über Muskel!!zellen mit dem Gehirn in Verbindung stehen, aber wie die metachrone asymmetrische Bewegung entsteht, ist m.W. noch völlig unklar.

Den gleichen Eindruck habe ich auch nach der Lektüre von Hausmann/ Radek (ed.) ,,Cilia and Flagella/ Cilates and Flagellates" gewonnen. Auch bei Ciliaten scheint nicht klar zu sein, was die Ursache der metachronen  Bewegung der Cilien ist. Vermutet werden hydrodynamische Wechselwirkungen.

Wie schon weiter oben angedeutet, haben neben den bdelloiden (mit zwei Cilienkränzen) auch einige der monogononten Rädertiere einen Wimperkranz (Gnesiotrocha: u.a. Filinia, Floscularia, Hexarthra, Testudinella).  Die bei den Bdelloiden vorzufindende einheitliche Drehrichtung beider Räderscheiben hat Remane seinerzeit zu der Hypothese  veranlasst, dass diese  zwei Räderscheiben sich im Lauf der Evolution durch allmähliche Teilung aus einem Wimperkranz der Monogononten gebildet haben könnten .  Man vergleiche hierzu mal die beiden Arten Limnias melicerta und Limnias ceratophylli; siehe hier:http://www.plingfactory.de/Science/Atlas/KennkartenTiere/Rotifers/01RotEng/E-TL/Genus/Limnias.html)

Übrigens ist eine Asymmetrie  nicht nur bei Rädertieren zu finden, sondern ein grundlegendes Phänomen in der Biologie:

Morphologisch ist z.B.  bekannt, dass bei den meisten Gehäuseschneckenarten die Windungen des Gehäuses entgegengesetzt zum Uhrzeigersinn verlaufen.

Auch biochemisch ist die belebte Natur asymmetrisch: die Aminosäuren, die Grundbausteine der Eiweißstoffe/ Proteine, existieren in zwei spiegelbildlichen Formen, von denen in der Natur aber nur eine Form (die L-Form) vorkommt.



Beste Grüße
Michael Plewka







deBult

Super pictures and respect for the detailed observation and reasoning.
Will have a more detailed look at these rotifers next time. Thans for triggering my interest!

Best, Maarten
Reading the German language is OK for me, writing is a different matter though: my apologies.

A few Olympus BH2 and CH2 stands with DIC and phase optics.
The correct number of scopes to own is N+1 (Where N is the number currently owned).

Michael Plewka

hi Maarten

thanks again for your nice comments!

ZitatWill have a more detailed look at these rotifers next time.
Please keep us informed about your observations!


best
Michael Plewka

Peter Reil

Hallo Michael,

danke für diesen Beitrag. Da war für mich viel Neues enthalten.
Deine Beobachtungen sind wirklich spannend und werfen natürlich Fragen auf.
Und dann noch diese Fotos - Respekt!

Freundliche Grüße
Peter
Meine Arbeitsgeräte: Olympus BHS, Olympus CHK, Olympus SZ 30

Marcus_S

Moin Michael,

vielen Dank für den für mich lehrreichen und anregenden Beitrag! Der hat mich zu neuen, spannenden Experimentchen angestiftet. Die haben mich zwar fast meine Nachtruhe gekostet, das war es aber wert. Mit dem gründlichen Ansehen der so entstandenen Videos bin ich zwar noch lange nicht fertig. Aber immerhin: mein Testrädertierchen "rotiert" auch gegen den Uhrzeigersinn.

Viele Grüße von

Marcus

Peter V.

Hallo Michael,

ein hochinteressanter Beitrag, viele Dinge waren mir auch nicht klar. Und natürlich (aber das mag man ja kaum noch erwähnen) tolle Bilder!

Solche Beiträge bereichern unser Forum enorm.

Herzliche Grüße
Peter
Dieses Post wurde CO2-neutral erstellt und ist vegan. Für 100 Posts lasse ich ein Gänseblümchen in Ecuador pflanzen.

Michael Plewka

hallo zusammen,

....sehr schön, dass der Beitrag zu was nütze ist...

Beste Grüße
Michael Plewka

Peter V.

Hallo Michael,

ich wärme diesen alten, aber sehr interessanten Thread noch einmal auf. Du hast ja in Hagen und auf der Kornrade ausführlich dazu referiert.
Vielleicht habe ich etwas übersehen oder überhört; es ist ja offenbar eindeutig, dass die "Drehrichtung" der "Laola-Welle" des Cilienschlages auf beiden Seiten gleich ist.
Dennoch ist die erzeugte Ströumg bekanntermaßen gegensinnig, win man auch schön auf diesem facebook-Video sieht.

https://www.facebook.com/reel/1462835261008743

Wie erklärt sich das? Offenbar hat die Abfolge der Cilienbewegung, also die Richtung der "Laola-Welle", keinen Einfluß auf die Störumungsrichtung. Wodurch wird sie aber dann bestimmt?

Herzliche Grüße
Peter
Dieses Post wurde CO2-neutral erstellt und ist vegan. Für 100 Posts lasse ich ein Gänseblümchen in Ecuador pflanzen.

Mikro-Tom0805

Hallo Michael,
Toller Beitrag mit ebenso tollen Bildern.... danke für die Beschreibungen, Erklärungen und die Bebilderung....

Gruß Tom
Zeiss Axioskop 20 LED
HF, Ph, DF, Pol., DIC
Foto: Sony alpha6500

Goldfuss

Excellent information and excellent pictures. The world of rotifers is really fascinating.
Thank you for your outreach work in this field!
YouTube channel: microBizkaia

Michael Plewka

Hallo zusammen,
vielen Dank für die netten neuen Kommentare!

@ Peter:
mittlerweile ist der Beitrag fast 4 Jahre alt.  An meinem Kenntnisstand hatte sich da einiges getan, was dann u.a. in die beiden erwähnten Vorträge eingeflossen ist. Und vielen Dank für den Hinweis auf das FB-video, das sehr eindrucksvoll den Effekt der Strömung, die von dem Ciliaten erzeugt wird, zeigt.


Zitat"dass die "Drehrichtung" der "Laola-Welle" des Cilienschlages auf beiden Seiten gleich ist. ...."


Das gilt zunächst mal nur für die von mir beobachteten bdelloiden Rädertiere. Ich hatte Beispiele von anderen (monogononten )Rädertieren gezeigt, bei denen es spiegelsymmetrische "LaOlas" gibt (z.B. Drachen-Rädertier (Synchaeta))


ZitatDennoch ist die erzeugte Ströumg bekanntermaßen gegensinnig, win man auch schön auf diesem facebook-Video sieht.


Das stimmt nicht: auch bei dem Ciliaten im FB-Video ist -genau wie bei dem obigen Bild vom Rädertier R. macrura - die Richtung des effektiven Cilienschlags  nicht gegensinnig, sondern im Winkel von ca. 90 Grad zur Richtung der LaOla-Welle.  Das kann man dort allerdings nicht sehen. Aber ich hatte im Vortrag in J. Stahlschmidt´s Reihe von einem ebenfalls peritrichen Ciliaten (Platycola)  eine Videosequenz  gezeigt, welches  eine perfekte Ergänzung  zu dem von Dir verlinkten Video ist (ich habe es allerdings immer noch nicht geschafft, die Videos hochzuladen, aber kommt hoffentlich noch....) :  wegen der Zeitlupentechnik ist nämlich in dem  Platycola-Video   sowohl die "LaOla"-Welle, als auch die Bewegung des effektiven Cilienschlags, die quasi von "oben nach unten" verläuft, deutlich sichtbar.

Als Gedächtnisstütze  sind hier zwei Bilder aus dem Video, die das noch mal veranschaulichen:

Aufsicht auf den Cilienkranz ; die Richtung  der "LaOla"-Welle ist weiß markiert:



Seitenansicht; grüner Pfeil:  Richtung des effektiven Cilienschlags. Diese Richtung gilt  für alle Cilen in diesem Kranz  des Viechs:


ZitatOffenbar hat die Abfolge der Cilienbewegung, also die Richtung der "Laola-Welle", keinen Einfluß auf die Störumungsrichtung. Wodurch wird sie aber dann bestimmt?

Ich weiß nicht, ob ich Dich richtig verstehe, aber gesichert ist:

1.Die Ursache für die "LaOla"-Welle ist die Cilien-Bewegung.
2.Die Ursache für die Richtung der "LaOla"-Welle liegt in der asymmetrischen Bewegung des einzelnen Ciliums (möglicherweise des Rückholschlags). 
3. Die Strömungsrichtung wird durch die Richtung des  effektiven Cilienschlags bewirkt


In dem FB-video ist die Richtung des effektiven Cilienschlags dagegen nicht sichtbar, dafür aber die Wirkung, nämlich die Wasserströmung, die von vorn kommend am Mundfeld vorbeigeht


Beste Grüße
Michael Plewka