Hauptmenü

Wespe Abdomen Segmentgrenze

Begonnen von Jürgen H., August 15, 2012, 19:03:34 NACHMITTAGS

Vorheriges Thema - Nächstes Thema

Jürgen H.



Liebe Mitmikroskopiker,

was mich bei meinen Insekten immer wieder begeistert, ist die Sinnfälligkeit des Körperbaus. Das Bild zeigt einen Ausschnitt aus einem Sagittalschnitt durch das Abdomen einer Wespe, und zwar genau die Grenze zwischen zwei Segmenten.

Vom Maikäfer kennen wir ja das Zählen. Der schwerfällige Bursche muss erst einmal tief Luft holen, bevor er genug Sauerstoff hat um seine Muskulatur für den nächsten Flug zu bewegen. Da er rundherum wie ein Ritter gepanzert ist in seiner harten Chitinhülle, fiele ihm das Atmen recht schwer, wenn sein Panzer nicht in Segmente aufgeteilt wären, die sich ineinander und auseinander verschieben lassen. Und so kann er denn Luft pumpen.

Ähnlich ist das bei den wesentlich beweglicheren und kleineren Wespen. Und wie es funktionieren kann, dass sich die Segmente gegeneinander bewegen, zeigt das Bildchen: Das hart sklerotisierte Segmentstück Seg a ist überlappt von einem weichen Stück des Segmentes Seg b, das wie eine Gummilippe über dem Segment a liegt. Zwischen den beiden Segmenten gibt es nur eine weichhäutige Verbindung wV. Segment a ist an seinem Ende gut versteift durch Einstülpungen des Integuments R1 und R2. Diese Einstülpungen sind natürlich quer geschnitten. Man muss sich diese Versteifung als eine Art Rippe vorstellen, die unter dem Integument entlang der Segmentgrenze verläuft, damit das Abdomen an dieser Stelle nicht eingedrückt werden kann.

Nicht sicher identifizieren kann ich die Zellen Z. Ich vermute, es handelt sich um sogenannte Oenozyten, denen unter anderem eine Funktion beim Aufbau des Integuments zugeschrieben wird.

Schöne Grüße

Jürgen

Ronald Schulte

Jürgen,

Gratuliere, das ist ja ein Superschnitt und wunderbar detailliert gefärbt (deine AZAN hat mich schon öfters angeregt).
Wusste gar nicht das so geatmet wird und verstehe auch nicht was 'Verbindung wV' für eine Funktion hat.
Sehe ich da Granulat in die Oenozyten oder sind das andere Zellkörper?

Grüße Ronald 
Mikroskope:
Leitz Orthoplan (DL, AL-Fluoreszenz und Diskussionseinrichtung).
Leica/Wild M715 Stereomikroskop.
Mikrotom:
LKB 2218 Historange Rotationsmikrotom.

Jürgen H.

Hallo Ronald

Das ist jetzt hier nicht ein Ausschnitt aus dem obigen Schnitt, sondern ein paar Schnittebenen darüber oder darunter, etwas stärker gefärbt, ich habe die genaue Stelle nicht auf die Stelle gefunden. Aber dennoch findet man sich, glaube ich, anhand des vorigen Photos sofort zurecht: Ja, da sind offenbar Granulae in den fraglichen Zellen. Bei einigen in der Mitte natürlich die Kerne.



Oben links natürlich etwas Muskulatur und zwischen der Muskulatur und dem sklerotisierten Integument ein Stück wV. Das ist meiner Meinung nach nur ein Häutchen zwischen den chitinösen Segmenten, das die Segmente verbindet und den Körper nach außen hin abdichtet.

Wenn Du Dir das Bild im Eröffnungsbeitrag ansiehst: Dort ist dieses Häutchen wV gefaltet. Ich stelle mir vor, dass die Wespe so ausgeatmet hat. Atmet sie ein, kann sich das Segment b nach links verschieben, das Häutchen wird etwas mehr gestreckt und die Verbindung zwischen beiden Segmenten bleibt dicht.

Wir atmen über unseren Thorax, die Wespe über ihren Hinterleib. Funktional besteht offensichtlich eine gewisse Ähnlichkeit. Bei uns Menschen heben sich die Rippen und ziehen sich auseinander, der Brustraum vergrößert sich und wir atmen ein. Ähnlich bei der Wespe: Auch hier wird der Innenraum durch eine Verschiebung der Segmente verändert. Voraussetzung, dass das funktioniert und Luft in den Innenraum dringt, ist immer, dass das System dicht ist. Sonst gibt es keinen Unterdruck beim Einatmen.

Wie genau die Intersegmentalmuskulatur funktioniert, ist mir noch nicht ganz klar, auch nicht, was den Antagonisten bildet. Aber das ist ja das Schöne an der Mikroskopie: Es stellen sich immer neue Fragen....

Übrigens: Das ist kein Azan, vielmehr eine einfache HE Färbung mit Hämatoxylin Ehrlich und Azophloxin nach Deinem Rezept! Vielleicht ist das Rot etwas zu stark. Es verändert seine Farbwirkung sofort, wenn Du auch nur ein zwei Tropfen Eisessig auf einen Färbetrog zufügst. Vorher zog die Farbe kaum auf, jetzt ist es mir schon teilweise zu viel. Im ersten Bild habe ich die Färbezeit auf 5 min. verkürzt! (statt acht min)

Schöne Grüße

Jürgen


Ronald Schulte

Jürgen,

HE natürlich! Die Farbezeit ist bei auch nicht immer gleich und ist immer sehr abhängig vom Gewebe. Gesternabend z.B. habe ich ein Gehirnteil und ein Oesophagus mit Phloxin gefärbt.
Aus das Gehirn wurde es fast völlig ausgewaschen und aus den Oesophagus kam fast niks in die 70% Ethanolstufe ab so ist es eigentlich ziemlich überfarbt. Darum mache ich auch immer reichlich Schnitte. Ein OT kostet ja nicht viel.

Grüße Ronald.
Mikroskope:
Leitz Orthoplan (DL, AL-Fluoreszenz und Diskussionseinrichtung).
Leica/Wild M715 Stereomikroskop.
Mikrotom:
LKB 2218 Historange Rotationsmikrotom.

Fahrenheit

Lieber Jürgen,

das sind wieder tolle Aufnahmen und eine Erläuterung, die auch dem Laien sofort klar macht, worum es da geht.
Gerne mehr davon!

Herzliche Grüße
Jörg
Hier geht's zur Vorstellung: Klick !
Und hier zur Webseite des MKB: Klick !

Arbeitsmikroskop: Leica DMLS
Zum Mitnehmen: Leitz SM
Für draussen: Leitz HM

belay68

Hallo Jürgen,

Vielen Dank für die tollen Ausführungen. Das macht es auch mir als Laien leicht, die von Dir beschriebenen Tatsachen zu verstehen.

VieleGrüße
Bernd

Jan Dunst

#6
Hallo,

eine sehr schöne Darstellung, tolle Bilder und wunderbare Erläuterungen.

Zu den Oenozyten: Eine Beteiligung dieser am Aufbau von Komponenten an extrazellulären Komponenten ist meines Wissens nicht beschrieben. In Oenozytoiden wurde eine der Phenoloxidasen, die für die Prophenoloxidasekaskade welche die Melanisierung katalysiert zuständig ist, nachgewiesen. Es sind also Zellen die an der Immunantwort beteiligt sind.

Meinst du vielleicht granuläre Zellen (Granulozyten)? Hier gibt es Nachweise das diese am Aufbau, Abbau und Umbau von Basallamina beteiligt sind. Granuläre Zellen erscheinen als sphärische, stark lichtbrechende Zellen, zu deren Funktion die Phagozytose gehört. Weiterhin ist für granuläre Zellen beschrieben, das diese Fremdkörper erkennen und durch die Exocytose ihres granulären Materials eine Opsonin-ähnliche Funktion erfüllen. Zusätzlich wurde eine Rolle der granulären Zellen an der Morphogenese von Basallaminae von Epithelien nachgewiesen.

Als schöne Primärliteratur kann ich Carlos Ribeiro und Michel Brehe ("Insect haemocytes: What type of cell is that?", Journal of Insect Physiology (2006), 417--429) empfehlen, ein übersichtliches Review (mit Fokus auf Lepidopteren und natürlich dem Haustier Drosophila).

Was allerdings allen beiden Zellarten gemein ist, ist das diese normalerweise freischwimmend in Hämolymphe zuhause sind. Deine scheinen eingebettet in extrazelluläres Material.

Beste Grüße,
Jan

Martin Schneider

Hallo Jürgen,
tolle Präparate und Fotos!
Bei vielen Arthropoden dient die Haemolymphe als "Wiederlager"/Antagonist für aktive Bewegungen (Voraussetzung ist natürlich ein dichtes System).
Viele Grüße
Martin

A. Büschlen

Hallo Herr Harst

sie zeigen einmal mehr eine hervorragende Arbeit und dazu eine interessante Dokumentation.

Besten Dank.

Arnold Büschlen
Schwerpunkt z.Z.:
- Laub- und Lebermoose.
- Ascomyceten als Bryoparasiten.
- Nikon Optiphot I mit HF, DIC.
- Nikon Microphot mit HF, Pol.
- Zeiss Standard Universal mit HF, Ph, Pol.
- Wild M3Z mit Ergotubus.
- Nikon SMZ-U Zoom 1:10 mit ED Plan Apo 1x.

Florian Stellmacher

Lieber Jürgen,

eines möchte ich - zumal längst überfällig! - noch einmal heraus pointieren:

Ich hatte die Ehre, auf dem MikroForum-Treffen 2012 ("Kornrade 9") über die Histologie im Allgmeinen zu sprechen, und habe dabei u. a. auch zur Materialbeschffung ein paar Gedanken geäußert. Dein Thema, die Histologie der Insekten, zeigt einmal mehr, welche unglaublich spannenden Rätsel sich hinter vermeindlichem Ungeziefer verbergen und dass das Material vergleichsweise einfach zu beschaffen sein kann.

Für mich ist dieser Blick über den Tellerrand eine große Bereicherung!

Herzliche Grüße,
Florian
Vorwiegende Arbeitsmikroskope:
Zeiss Axioskop 2
Olympus BHS (DL, Pol, Multidiskussionseinrichtung)
Zeiss Axiophot (DIK und AL-Fluoreszenz)
Zeiss Axiovert (Fluoreszenz)
Wild M400 Fotomakroskop (DL, DF, AL, Pol)

Jürgen H.

Lieber Jan,

ganz herzlichen Dank für den Literaturhinweis zu den Hämatocyten. Das ist genau die Literatur, die ich zu diesem Thema suche!

Selbstverständlich mögen die fraglichen Zellen auch Granulozyten sein. Hierfür sprechen schon die Granulae, auch die regelmäßig zentrale Lage der Zellkerne. Ich bin gespannt, was Dein Zitat zur Morphologie der Blutzellen ergibt.

Ich überlege, woher ich die Information habe, Önozyten seien am Aufbau des Integuments beteiligt. Ich meine das mehrfach gelesen zu haben. Eine allerdings ältere Literaturangabe habe ich gefunden: Seifert 2. Aufl. (!) S. 110 ff Sie werden dort beschrieben als rundliche Zellen, allerdings eosinophil, groß, mit relativ kleinem Zellkern, meist homogenes aber auch leicht granuläres Zytoplasma.  Seifert berichtet, dass sich die Önozytenzellen bei einigen Insekten auffällig werden der Häutungsphasen verändern, sich vor allem das Zytoplasma mit Vakuolen füllt.

Sodann Zitat S. 111:

" All diese Veränderungen veranlaßten zu dem allgemeinen Schluss, die Önozyten seien Organe des intermediären Stoffwechsels, die ihre Produkte in die Hämolymphe abgeben würden. Als Imhaltsstoffe wurden Glykogen, Phenole und vor allem Lipoproteide festgestellt, die zur Zeit der Abscheidung der neuen Epicutikula stark abnehmen. Von manchen Forschern wird deshalb vermutet, dass die Önozyten vieler Insekten das Material für deren Cuticulin- und Wachsschicht, womöglich auch für die dichte Schicht bereit stellen...."  Sodann erörtert Seifert die Möglichkeit, dass in den Önozyten Häutungshormone gebildet werden.

Ob und inwieweit es sich um eine Zellansammlung im wesentlichen gleicher Zellen handelt, oder um eine Einbettung der fraglichen Zellen in ein andersartiges Material, müsste ich mit Durchsicht meiner Schnittfolgen erkunden. Ich vermute Ersteres. Es scheint so zu sein, dass sich Önozyten zu kleinen Ansammlungen zusammenfinden.

Schöne Grüße

Jürgen

Jürgen H.


Lieber Martin,

herzlichen Dank für den Hinweis auf den Hämolymphdruck als Antagonisten. Daran sollte ich eigentlich gedacht haben, beim Ausfahren des Rüssels hatte ich das ja sogar selbst schon einmal erwähnt. Ich werde das im Auge behalten!

Lieber Arnold Büschlen, herzlichen Dank für die aufmunternden Worte, ebenso an Dich lieber Jörg und an Dich lieber Florian, wobei es sicher stimmt,

Zitatdass das Material vergleichsweise einfach zu beschaffen sein kann.

Das Abdomen ließ sich tatsächlich leicht und ziemlich problemlos schneiden, etwa 4 bis 5 µ stark ist der Schnitt. Allerdings:  Beim Kopf desselben Insekts, eingebettet im selben Vorgang bin ich hoffnungslos gescheitert. Das ergab eine einzige Trümmerwüste. Wenn ich nicht ab und zu doch ein Erfolgserlebnis hätte, ginge ich zu den Fischen über. Die sollen auch ganz interessant sein.

Schöne Grüße

Jürgen

Jürgen H.

Noch ein kleiner Nachschlag:



Auf den weichhäutigen Deckelchen, den oben angesprochenen Gummilippen, findet sich immer wieder ein vereinzeltes Trichom am äußersten Rand, das offenkundig ans Nervensystem angebunden ist. Ob es sich um ein taktiles Haar handelt, weiß ich nicht, könnte es mir aber vorstellen. Überhaupt ist der Insektenkörper übersät mit solchen Sensillen: chemotaktischen oder mechanosensorischen. Wie das kleine Gehirn und die Ganglienknoten das alles verarbeiten können ist mir schleierhaft. Ganz interessant ist auch der ein wenig durch Doppelwandigkeit mit Stegverbindungen versteifte Aufbau .der "Gummilippe"

Schöne Grüße

Jürgen

Jan Dunst

Zitat von: Jürgen H. in August 16, 2012, 21:42:43 NACHMITTAGS
Überhaupt ist der Insektenkörper übersät mit solchen Sensillen: chemotaktischen oder mechanosensorischen. Wie das kleine Gehirn und die Ganglienknoten das alles verarbeiten können ist mir schleierhaft.

Hochinteressantes Thema. Die Reizverarbeitung bei Insekten oder Arthropoden wird oft nicht von einem zentralen Nervensystem verarbeitet. Das beste Beispiel ist hier die Kakerlake. Die Schwingungsensoren die sie am Hinterleib trägt sind teilweise nicht über Ganglien oder zentrale Mustergeneratoren verknüpft und werden dort verarbeitet oder weitergeleitet. Teilweise sind diese direkt mit der Muskulatur der Laufbeine verschaltet und geben somit ohne Umweg das Signal zur Bewegung. Kommt also jemand Nachts in die Küche läuft die Schabe los bevor sie weiß das sie loslaufen will... allerdings einfach in die Richtung in die sie gerade ausgerichtet ist, erst nach der Reizverarbeitung wird dann zielgerichtet geflüchtet. :)

Jan Dunst

Hallo Jürgen,

ich muss mit meinen Aussagen zurückrudern. Nach dem Gespräch mit einer Expertin habe ich Erfahren das Oenozyten und Oenozytoide zwei paar Schuhe sind. Deine Erstbestimmung kann also hinkommen.

Schönen Gruß,
Jan