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Mastigamoeba setosa

Begonnen von Eckhard, August 29, 2014, 21:24:23 NACHMITTAGS

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Eckhard

Hallo in die Runde,

dieses Jahr ist für mich als "Tümpler" bisher nicht so ergiebig gewesen. Es liegt vielleicht an den frühen warmen Tagen denen noch einmal richtig kaltes Wetter folgte.

Die Mastigamöben sind eine sehr interessante Gattung von Amöben. Die erste Erwähnung findet man bei Carter (1864), der eine Amöbe mit Cilium, die er in Bombay gefunden hatte, als Amoeba monociliata kurz beschreibt. F.E. Schulze (1875) beschrieb Mastigamoeba aspera, die Typusart der Gattung. Der Bezeichung "aspera" bedeutet "rau" und weist auf die mit Bakterien bedeckte,"raue" Oberfläche der Amöbe hin. Ursprünglich hielt man die Mastigamöben für die Verbindung zwischen Amöben und Flagellaten. Bütschli (1884) ordnete Mastigamoeba konsequenterweise bei den Flagellaten ein!

In den folgenden 30 Jahren wurden einige weitere Mastigamöben beschrieben, aber die Kenntnisse über diese Amöben blieben eher dürftig. Das änderte sich als Richard Goldschmidt (1907) zwei neue Mastigamöben entdeckte, die er Mastigella vitrea und Mastigina setosa (=Mastigamoeba setosa) nannte. Goldschmidt hatte eine grosse Anzahl beider Amöben in einer gemischten Kultur und studierte ausführlich den interessanten Lebenszyklus.

Im Laufe des letzten Jahrhunderts wurden weitere Eigenschaften der Mastigamöben bekannt. Mastigamöben leben am Boden nährstoffreicher Gewässer in der anoxischen Zone - komplett oder annähernd sauerstoffrei. Mastigamöben haben keine Mitochondrien. Das lange Cilium hat bei der amöboiden Bewegung keine Bedeutung. Allerdings können Mastigamöben mit Hilfe des Ciliums schwimmen. Dabei wird das Cilium nach vorne ausgestreckt und die Amöbe macht sich "schlank". Der Ursprung des Ciliums ist direkt neben dem bläschenförmigen Kern. Diese Struktur nennt man auch Karyomastigont.

Es wurde lange vermutet, dass Mastigamoeben "Uramoeben" sind. Die Argumentation basierte auf der fehlenden Anpassung an eine sauerstoffreiche Welt und die Karyomastigont Struktur, die man für die Urform der Steuerung des Ciliums durch den Kern hielt. Konsequenterweise wurden sie in eine Gruppe Archamoebae Cavalier-Smith 1983 gepackt.

Wir wissen heute, dass die Mastigamöben keine Uramöben sind, sondern sich dem Leben im sauerstoffreien Milieu angepasst haben und ihre dort nutzlosen Mitochondrien verloren haben.

Mastigamoeba aspera habe ich hier schon gezeigt: https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=16033.0

In der letzten Woche lief mir Mastigamoeba setosa Goldschmidt 1907 über den Weg.


M. setosa


M. setosa

M. setosa ähnelt der M. aspera in Form und Bewegung, ist allerdings mit vielen kleinen Borsten bedeckt. Wie M. aspera hat sie eine dicke (1 µm) Glykokalix voller ektosymbiontischer Bakterien.

Besonders interessant ist der Lebenszyklus von M. setosa, den ich allerdings nicht selbst beobachten konnte. In der Erstbeschreibung durch Goldschmidt (1907) sind etwa 100 detaillierte Zeichnungen zu sehen, in denen der Lebenszyklus ausführlich dokumentiert ist. M. setosa kann sich durch Teilung vegetativ vermehren, dies ist auch in der Kultur von Goldschmidt die Regel gewesen.

Manchmal kommt es jedoch zur Bildung von Gameten (nach einer Phase reichlicher Nahrung, bei der viele vegetative Teilungen vorkommen, mit anschliessender Nahrungsknappheit). M. setosa bildet Mikro- und Makrogameten (Anisogamie), die Fortpflanzungszellen. Die Amöben, die die Gameten produzieren, werden Mikro- und Makrogametozyten genannt. Findet der Vorgang in einer Zyste statt, redet man von Mikro- und Makrogametozysten.

Eine Amöbe, die sich zum Makrogametozyten entwickelt, ist äusserlich nicht von einer normalen M. setosa zu unterscheiden. Sie kriecht und frisst wie sonst auch.  Die Gameten entstehen nicht gleichzeitig, sondern sukzessiv. Am Ende ist die Amöbe mit 200-300 Gameten fast ganz ausgefüllt. Während des gesamten Vorganges kriecht und frisst der Makrogametozyt wie eine normale M. setosa! Nun bildet der Makrogametozyt eine Zyste und wird zur Makrogametozyste.  Danach ist der gesamte Plasmaköper des Makrogametozysten voll mit reifen Makrogameten, die ein Cilium besitzen.

Amöben, die sich zur Mikrogametozyste entwickeln, hören mit ihrer normalen Bewegung und Nahrungsaufnahme auf und bilden eine Zyste. Die Borsten werden eingeschmolzen und werden zum Teil der Zystenwand. Innerhalb dieser Zyste läuft die Entwicklung der Mikrogameten analog zur Entwicklung der Makrogameten, wobei die Mikrogameten kein Cilium ausbilden.

Irgendwann platzen die Zysten und entlassen die Gameten ins Wasser. Wenn jetzt ein Makrogamet neben einem Mikrogameten liegt, beginnt die Verschmelzung der Plasmakörper und danach die Verschmelzung der Gametenkerne zum Synkarion. Das Cilium des Makrogameten wird dabei zum Cilium der neuen M. setosa! Die Zygote wächst recht schnell und ähnelt einer kleinen Amoeba proteus - nur mit Cilium. Nach einiger Zeit bilden sich die Borsten und der Kern nimmt seine endgültige Struktur an.

Ich habe diesen Lebenszyklus deswegen so detailliert wiedergegeben, weil er kaum bekannt ist. Die Arbeit von Goldschmidt ist meiner Kenntnis nach nicht im Internet erhältlich und liegt mir im Original vor.

Zum Abschluss noch eine eine Mastigamöbe, die ich in dieser Form jedoch nicht bestimmen kann.



Mehr, wie immer, auf www.Penard.de bei den Archamoebae: http://www.penard.de/Amoebozoa/Archamoebae/index.html

Herzliche Grüsse,
Eckhard
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Lieber Eckhard,

vielen Dank für den interessanten Artikel und die schönen Aufnahmen!

Herzliche Grüße
Jörg
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Hallo Eckhard,

ich möchte mal aus einem anderen Faden ein Zitat eines Zitats hierher entführen (also noch einmal zum Verständnis: Du hast das nicht gesagt, sondern selbst nur zitiert!):

Zitat von: Eckhard in August 30, 2014, 17:57:30 NACHMITTAGS
"Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass sich etwas so komplexes wie der menschliche Körper aus einer einzigen Zelle entwickelt hat"

An Deinem Amöben-Beispiel sieht man (wieder einmal), dass es bereits eine vollkommen irrige Annahme ist, ein absolutes Grundmißverständnis, die Zelle könne nicht ebenfalls komplex sein.

Viele Grüße

Sebastian
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