Amöbe frisst ein Gastrotrichen-Ei (Film)

Begonnen von Michael Müller, Oktober 28, 2018, 11:18:07 VORMITTAG

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Michael Müller

Hallo in die Runde,

in meinen Mikroaquarien konnte ich immer wieder mal beobachten, das die Eier von Bachhärlingen gerne von Amöben verspeist werden. Die Gastrotrichen haben deshalb mit mannigfaltigen Schutzmaßnahmen auf diese Bedrohung reagiert. Oft werden die Eier in leeren Wasserflohschalen versteckt oder tragen Spitzen oder Dornen auf den Eierschalen. Manche Arten verzichten aber gänzlich auf spezielle Schutzvorrichtungen und verlassen sich auf die starke Verklebung der Eier auf dem Untergrund.
Bei meinen Untersuchungen der Gastrotrichen-Eier stoße ich öfter auf mir unbekannte Exemplare. Dann filme ich meist die Eientwicklung, um beim Schlupf der Tiere dem Ei die Gastrotrichen-Art zuordnen zu können. Dazu habe ich die die Software meiner Canon EOS mittels Magic Lantern erweitert. So sind Zeitrafferaufnahmen auch über einen langen Zeitraum möglich. Die folgende Aufnahme wurde mit einem Bild alle zwei Sekunden und einem 100er Objektiv gefilmt. Bei der üblichen Abspielrate von 25 Bilder pro Sekunde ergibt sich dann ein Zeitraffer-Faktor von 50x.
Als ich das gezeigte Ei am Abend entdeckte vermutete ich die Art Chaetonotus macrolepidus, deren Ei mir noch in meiner Sammlung fehlte. Ich startete also die Aufnahme und hoffte, in den nächsten Tagen das Schlüpfen des Tieres beobachten zu können. Als ich am nächsten Morgen die Einstellungen kontrollieren wollte, war das Ei verschwunden. Eine Kontrolle der Aufnahme zeigte, dass das Ei einer Amöbe zum Opfer gefallen ist:



(Zum Starten des Videos einfach anklicken)


Der gesamte Vorgang dauerte in "Echtzeit" ca. eine Stunde. Interessant fand ich, mit welcher Kraft die Amöbe an dem Ei zerrte, bis sich die Verklebung löste und das Ei mitgeschleppt werden konnte.

Vielleicht hat jemand eine Idee, um welche Amöbenart es sich handeln könnte? Das Ei hatte eine Größe von ca. 50µm.

Viele Grüße

Michael
Gerne per Du

Gerd Schmahl

Hallo Michael,
sehr, sehr cooles Video!
Zitat von: MichaelDazu habe ich die die Software meiner Canon EOS mittels Magic Lantern erweitert.
Kannst Du vielleicht kurz erläutern, wie das geht. Ich habe mir auch schon manche Nacht um die Ohren geschlagen, um alle 2 Minuten ein Foto von sich teilenden Micrasterias zu machen. Da findet man so eine Softwareerweiterung schon interessant. Ich fotografiere mit der EOS 700D.
LG Gerd
Fossilien, Gesteine und Tümpeln mit
Durchlicht: Olympus VANOX mit DIC, Ph, DF und BF; etliche Zeiss-Jena-Geräte,
Auflicht: CZJ "VERTIVAL", Stemi: MBS-10, CZJ SMXX;
Inverses: Willovert mit Ph

ImperatorRex

Michael,
wirklich ein tolles Video!
Auch ich schliesse mich Gerds Frage bezüglich Details zu Magic Latern an. Bin gespannt wie Du das gemacht hast.
viele Grüße
Jochen

Jochen Meyerhofer

ungelabeltes MBS-1 , Paul Waechter Potsdam Hufeisen ,Rathenow ROW M 101266 ,Bresser Researcher ICD Bino ,Lomo MBR-1 +

limno

Guten Abend Gerd,
Auf youtube gibt es viele Videotutorials für Magic Lantern. Besonders die von Mike Suminski sind meiner Meinung nach gut verständlich.
Die Homepage von Magic Lantern ist englischsprachig. Von dort kann man sich neuesten Versionen (Nightly Builds) von Magic Lantern für seine jeweilige Canon-Digitalkamera herunterladen: http://www.magiclantern.fm/
Hier der Link zum gewünschten Video: https://www.youtube.com/watch?v=VvQFZpNwj-g&list=PLK5scuXMuLNmDW0m4IesEOGB5P5zYLY24&index=8
Viel Freude und Erfolg wünscht Dir
Heinrich
So blickt man klar, wie selten nur,
Ins innre Walten der Natur.

Michael Müller

Hallo,

es freut mich, das Euch das Video gefallen hat!

Magic Lantern ist eine kostenlose opensource Erweiterung der Software von Canon EOS Kameras und erweitert den Funktionsumfang der Kameras um dutzende - meist gut durchdachte - Features. Die Installation ist (soweit ich mich erinnere) problemlos - im wesentlichen werden einige Dateien auf die Speicherkarte kopiert, welche dann beim Starten der Kamera geladen werden. Löscht man die Dateien wieder, ist der alte Zustand wieder hergestellt. Aber die Details sollte man sich von der Webseite holen, auf die Heinrich hingewiesen hat. Hier werden auch die unterstützten Kameramodelle aufgelistet (@Gerd: 700D wird unterstützt).
Von den Zusatzfunktionen habe ich die Erweiterungen des Video-Modus verwendet. Hier kann man einstellen, mit welcher Bildrate die Videos aufgenommen werden (hier 0,5 fps). Die Videos werden dann ganz normal mit 25 fps abgespielt. Dies ergibt einen Zeitrafferfaktor von 50. Bei den Canon-Kameras ist die Dateigröße der Videos beschränkt und das Video wird nach ca. 25 Minuten (bei 25 fps) abgebrochen. Mit Magic Lantern kann man einstellen, dass nach dem Abbruch der Aufnahme automatisch eine neue Aufnahme gestartet wird. So war es mir möglich, die Eientwicklung von Gastrotrichen im Zeitraffer über mehrere Tage ohne "Beaufsichtigung"zu filmen.
Die Videotechnik ist die eine Seite - zusätzlich ist natürlich ein Präparat erforderlich, dass über die gesamte Aufnahmezeit auf dem Mikroskop stabil bleibt. Dafür kenne ich nur die Technik des mit Vaseline abgedichteten Deckglases (die wohl auch Gerd verwendet). Dadurch wird das Verdunsten des Wassers verhindert und das Präparat bleibt zumindest über einige Tage stabil. Möchte man die Beobachtungszeit auf einige Wochen (wenige Monate) erweitern, kann man einen Objektträger mit Hohlschliff, der ein zusätzliche Wasserreservoir bietet, und ein möglichst großes Deckglas verwenden. Eine vernünftige Beobachtung ist dann aber nur im Bereich außerhalb des Hohlschliffs möglich. Bei einem großen Deckglas ist das aber der Großteil des Präparates. Zum Auftragen der Vaseline verstreicht man etwas davon auf dem Handballen. Vor dem Auflegen streift man mit den Deckglasränder je einen dünnen Steg Vaseline vom Handballen ab. Nach leichtem Festdrücken des Deckglases ist das Präparat abgedichtet.

Viele Grüße

Michael
Gerne per Du

Martin Kreutz

Hallo Michael,

eine faszinierende Beobachtung eines Eierdiebes, sehr gut dokumentiert! Ich habe mir das Video mehrmals angeschaut. Ich meine an einer Stelle einen zentralen Nukleolus erkannt zu haben und sich verjüngende Pseudopodien. Das kann dann nicht die allgegenwärtige Amoeba proteus sein, sondern eventuell Mayorella. Diese Zuordnung ist natürlich schon ziemlich gewagt. Eine Mayorella, die von der Größe auch passen würde, wäre Mayorella augusta. Ich habe diese Art vor 8 Jahren mal hier im Forum vorgestellt:

https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=5219.0

Jeder kann sich dann das eigene Urteil bilden, ob das der Eierdieb war.

Martin

limno

Liebe Amöbenbestimmer,
ja Michaels Video ist genau genommen ein  Horrorstreifen der Extraklasse ;) . Mit tausend Fingern, so will es scheinen, stürzt sich die Amöbe auf das sich entwickelnde Ei, um es zu umfließen  und es sich schließlich ganz einzuverleiben. Bei Martin habe ich bemerkt, dass er mutmaßlich von Ferrys Amöbenseite einen Schreibfehler abgepinselt hat.  ;D Denn die besagte Art heißt Mayorella angusta, (lat. die schmale Mayorella) nicht Mayorella augusta (die erhabene M.)
So steht es bei HARNISCH im Band  über  Rhizopoda aus der Reihe "Die Tierwelt Mitteleuropas" .Die Abbildung 27 auf Tafel 4 zeigt denn auch, dass M. angusta vergleichsweise langgestreckt ist und somit ihren Artnamen zu Recht trägt.Auch ich denke,dass es wohl Mayorella angusta ist.

So zeigt sich wieder einmal:
Die Wissenschaft,
sie ist und bleibt,
was einer ab vom anderen schreibt. ;)
(Eugen Roth)
Euch allen eine erholsame Nacht wünscht
Heinrich

So blickt man klar, wie selten nur,
Ins innre Walten der Natur.

Michael Müller

Hallo Martin,

vielen Dank für Deinen Bestimmungsversuch - das hilft mir sehr weiter! Gerade bei Amöben habe ich keine Ahnung, wie ich eine Bestimmung überhaupt angehen sollte. Damit muss ich mich dringend einmal beschäftigen!

Viele Grüße

Michael
Gerne per Du

Martin Kreutz

#9
Hallo Heinrich,

beruhigend zu wissen, dass die unabhängige Kontrollinstanzen funktionieren und aufmerksam prüfen, was hier eingestellt wird. Tatsächlich habe ich die Zuordnung nicht nach Ferry's "arcella.nl" durchgeführt (die gab es meines Wissens 2010 noch nicht), sondern nach

Page, F.C. (1976): An illustrated key to freshwater and soil amoeba with notes on cultivation and ecology. Freshwater Biological Association. 155 pp.,

wie ich es auch in meinem Beitrag auch geschrieben habe. Und Page nennt diese Art Mayorella augusta. Aber natürlich kann man einen Übertragungsfehler von mir oder von Page selber nicht ausschließen. Deshalb habe ich auf Grund Deiner Zweifel nochmal versucht den "wahren" Namen herauszubekommen. Leider komme ich an den Originalartikel des Erstbeschreibers Schaeffer von 1926 nicht dran. Das wäre für mich die "echte" Referenz. Deshalb habe ich geprüft, was meine übrige Literatur und das Internet für Namen angeben.

In folgenden Quellen habe ich die Bezeichnung Mayorella augusta gefunden:

- Page, F.C. (1976): An illustrated key to freshwater and soil amoeba with notes on cultivation and ecology. Freshwater Biological Association. 155 pp.
- Page, F.C. & Siemensma, F. J. (1991): Nackte Rhizopoda und Heliozoa. – Protozoenfauna 2: XI + 297 pp.
- Siemensma, F.J. (1987): De Nederlandsee Naaktamoeben (Rhizopoda, Gymnamoebia). Koninklijke Nederlandse Natuurhistorische Vereniging, Hoogwoud. 132 pp.
- Schaechter, M. (2012): Eucaryotic Microbes. - Amsterdam: Elsevier/Academic Press.
- Alexey Smirnov: https://www.researchgate.net/profile/Smirnov_Alexey/publication/307856170_Amoebas_Lobose/links/57cee57108aed67897011021/Amoebas-Lobose.pdf?origin=publication_detail
- Wikipedia: https://pl.wikipedia.org/wiki/Mayorella

In folgenden Quellen habe ich die Angabe Mayorella angusta gefunden:

- Harnisch, O. (1958) Wurzelfüßler, Rhizopoda. In: Die Tierwelt Mitteleuropas 1, 1b: (Eds. P. Brohmer, P. Ehrmann, G. Ulmer), Quelle & Meyer, Leipzig, 1-75.

Außer dem Harnisch habe ich also keine weitere Quelle gefunden, die für Mayorella angusta spricht. Da mir der Originalartikel von Schaeffer nicht vorliegt und Siemensma, Page oder Smirnov ebenso angesehene Quellen wie Harnisch sind, bleibe ich vorerst bei der Bezeichnung, welche die Mehrheit der Autoren angibt, nämlich Mayorella augusta.

Trotzdem vielen Dank für die aufmerksame Prüfung. Eine Klärung wird hier nur die Originalarbeit von Schaeffer erbringen. Vielleicht besitzt sie hier im Forum jemand oder hat Zugriff.

Martin


RainerTeubner

Hallo Martin,

schick mir doch bitte die genauen bibliographischen Daten der Schaeffer'schen Originalarbeit. Ich werd dann mal suchen und versuchen, sie zu beschaffen. Meine Email ist offen.

Veile Grüße

Rainer
Mikroskop: Carl Zeiss Standard Universal
Bildbearbeitung: Gimp, Helicon focus und picolay
Kamera: Canon EOS 5D II

Michael Müller

Hallo Martin und Heinrich,

die Originalarbeit ist unter https://babel.hathitrust.org/cgi/pt?id=uc1.31822033865833;view=2up;seq=70 abzurufen. Die fragliche Art wird hier als Mayorella augusta bezeichnet - der Fehler liegt also bei Harnisch.
Der Disput über die Artbezeichnung hat zumindest dazu geführt, dass ich mich etwas näher mit Amöben beschäftigt habe und die Artbeschreibung mit den zusätzlichen Aufnahmen des "Eierdiebs" bei der Verdauung vergleichen konnte. Es handelt sich sicherlich um Mayorella sp.. Eine Zuordnung bis zur Art traue ich mir aber nicht zu, obwohl ich keine Widersprüche zu M. augusta gefunden habe.

Viele Grüße

Michael
Gerne per Du

limno

Hallo Martin,
danke für die Blumen, aber Dein Lob ist  mir fast peinlich :-[ . Als "Kontrollinstanz"  ??? à la "Big Brother" sehe ich mich nicht. Aber nachdem Du Dich ja schon auf die Gattung Mayorella festgelegt hattest, (denn darauf wäre ich ohne Dich wahrscheinlich nicht gekommen), habe ich mich ermutigt gefühlt, beim "Bestimmungsspiel" mitzumachen. Und dann war es eigentlich einfach: Denn dieses Mayorella sieht aus wie ein klassisches Bettlakengespenst, wenn es in  Michaels Film aus dem Hinterhalt heranrauscht. Das Bestimmungsbuch von Ferry ist sehr rar. Am besten wird es wohl sein, ihn persönlich anzuschreiben.
Beste Mikrogrüße von
Heinrich
So blickt man klar, wie selten nur,
Ins innre Walten der Natur.

Martin Kreutz

Hallo zusammen!

@ Michael: Vielen Dank für den link zur Originalarbeit von Schaeffer. Damit dürfte die Frage geklärt sein. Diese Quelle wurde mir von Google leider nicht angezeigt, obwohl ich auch danach gesucht habe. Wie hast Du sie gefunden?

@ Heinrich: Ich meinte das mit der Kontrollinstanz in keiner Weise abwertend. Zum einen halte ich mich für kritikfähig und zum anderen ist keiner davor gewappnet Fehler zu machen oder sich zu irren. Ich wurde in diesem Forum schon öfters auf Fehler in meinen Beiträgen hingewiesen. Das finde ich gut und ich korrigiere sie auch gleich. Dieser Fall war besonders lehrreich, weil man schnell auf die Frage kommt, welche Information ist denn wahr und die richtige. Woher kommt sie überhaupt? Das hat schon fast einen Bezug zur aktuellen Diskussion um fake news. In diesem Fall ließ sich die originale Quelle leicht identifizieren und der "wahre" Name schnell herausfinden. Bei vielen anderen Informationen oder Behauptungen ist das nicht so einfach.

Jetzt sind wir weit vom ursprünglichen Beitrag von Michael abgekommen, aber man kann feststellen, vielleicht ist der Eierdieb eine Mayorella und vielleicht Mayorella augusta.

Martin

Michael Müller

Hallo Martin

Zitat von: Martin Kreutz in Oktober 31, 2018, 19:22:49 NACHMITTAGS
Diese Quelle wurde mir von Google leider nicht angezeigt, obwohl ich auch danach gesucht habe. Wie hast Du sie gefunden?

Eigentlich kann ich da kaum was dazu sagen. Der wesentliche Unterschied mag sein, dass ich - wenn irgend möglich - Google nicht verwende, da dort die Suchergebnisse mittels eines "smarten" Algorithmus auf "meine Bedürfnisse" angepasst werden. Sprich, Google zeigt mir nur das, was Google glaubt, dass es mir (und Google) nützt! Auch glaube ich, dass Google gerade bei Büchern nur den eigenen Dienst bevorzugt.
Um Literatur zu finden, suche ich zuerst in den entsprechenden Online-Quellen https://archive.org/, http://booksc.org/ und http://sci-hub.tw/, die in diesem Fall aber keine Treffer brachten. Der nächste Schritt war dann die klassische Suche mit DuckDuckGo (https://duckduckgo.com/) die den Link zu einem amerikanischen Bibliotheksverzeichnis brachte. Hier konnte man dann einen Link zu dem eBook anklicken.

Um auf den Eierdieb zurückzukommen:
Je länger ich mich mit dem Video beschäftige, desto unverständlicher wird mir, wie die Amöbe das Ei als Futter erkannt hat. Sobald ein Pseudopodium das Ei berührt, stürzt die Amöbe herbei, umschließt das Ei und zerrt ca. eine halbe Stunde daran, bis es sich löst und mitgeführt wird.
Ich frage mich, wie der Eierdieb das Ei erkennt. Da Innere des Eis ist nahezu perfekt von der Außenwelt abgeschlossen, so dass ich chemische Reize für unwahrscheinlich halte (wer schon mal versucht hat, Gastrotricheneier zu färben, weiß, wie hermetisch diese von der Außenwelt abgeschlossen sind). Bewegung als Reiz kann ebenfalls ausgeschlossen werden, das der Embryo noch zu jung war, um sich zu bewegen. In der Amöbe wurde das Ei erst nach dem Lösen penetriert, was dann zum schlagartigen Denaturieren des Inhalts führte.
Dieses doch recht komplexe Jagdverhalten der Amöbe scheint mir weit über das einfache "Reiz-Reaktions-Schema" hinauszugehen, das den Einzellern gemeinhin zugestanden wird. Vielleicht hat jemand von Euch ja eine Idee, wie die Amöbe das Ei erkannt haben könnte?

Viele Grüße

Michael
Gerne per Du