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unbekannte Amöben

Begonnen von Winfried Hölz, Oktober 30, 2019, 13:06:53 NACHMITTAGS

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Winfried Hölz

Hallo Leute,
nach langer Zeit kommt hier mal wieder ein Lebenszeichen von mir. Vor Kurzem hatte ich 3 Amöben auf dem Tisch, die Fragen aufwarfen.
Für die erste habe ich leider nur ein Bild aus einem Video. Das Filmchen zeigt eine kreisrunde Amöbe ohne erkennbares Ektoplasma bzw. Pseudopodien - die  über lange Zeit rotiert, und zwar abwechselnd in beide Richtungen, und sich dabei nicht vom Fleck rührt. Mitten im Video zeigt sich dann das Ektoplasma - um danach wieder zur kreisrunden Form zu werden und mit der Rotation fortzufahren.

Fragen: Wie bewerstelligt die Amöbe diese Bewegung? Warum könnte sie das tun?

Die zweite Amöbe hatte ich noch nie gesehen.

Sie war ziemlich schnell unterwegs, hatte wohl gut 100µm Durchmesser, und die Phaco-Bilder legen nahe, dass sie am ganzen Umfang Filopodien besitzt, nicht nur die paar, die man im DIK-Bild sieht.

Die 3. (eigentlich zwei) aber war die seltsamste.

Zwei Zellen, die anfangs klar getrennt waren, haben Kontakt aufgenommen und sich dann nach mehreren Minuten wieder getrennt.
Hat so etwas schon mal jemand von Euch beobachtet? Was lief da ab? Ich kenne Fressgesellschaften von Amöben, aber von derartiger Kommunikation hatte ich noch nichts gehört. Auch die Form hatte ich nie gesehen. Nach Doflein könnte es eine Vampyrella/Leptophrys sein, was meint Ihr?

Schönen Gruß  --  Winfried

reblaus

Hallo Winfried -

das fasziniert mich absolut! Aber meine protozoologische Vorbildung ist schon 5 Jahrzehnte alt - deshalb warte ich fast genauso gespannt wie Du auf die Aufklärung durch die Expertenschar.

Viele Grüße

Rolf

Winfried Hölz

Moin Rolf,
in Sachen rotierende Amöbe gibt es ein Video (225MB), das ich auf Wunsch verschicken könnte (Mailadresse nötig,  Versand mit "wesendit").
Gruß  --  Winfried

Michael Plewka

Hallo Winfried,

zu Deinem zweiten Fund kann ich leider gar nichts Erhellendes beitragen.

Zu Deiner ersten Beobachtung habe ich folgende Vermutung:

man sieht deutlich die (vermutlich Trachelomonas-) Alge im Plasma der Amöbe. Diese hat einen Panzer, erkennbar als roter Kreis. Durch diesen Panzer   ist die Amöbe zwischen DG und OT eingeklemmt und kann nicht weg. Die "normalen" Mechanismen der amöboiden Bewegung, die in der Regel zu einer m.o.w. gerichteten Bewegung  führen,  führen  durch diese "Bremse" zu einer Kreisbewegung.

Deine Beobachtung passt einer Beobachtung, die ich hier (allerdings bei Oxyrrhis marina) beschrieben habe:

https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=32269.0

Beste Grüße
Michael Plewka

Winfried Hölz

Hallo Michael,
danke für Dein feedback. Ich schicke Dir gerne einen Link zu dem Video (wie oben beschrieben). Dort ist zu sehen, dass sich alle 5 Einschlusskörper synchron mit der Amöbendrehung mitbewegen. Beim Ausbruch des Ektoplasmas meine ich sogar die freie Beweglichkeit der Einschlüsse erkennen zu können. In der zweiten Hälfte des Videos bewegt sich dann die deutlich exzentrisch sitzende Trachelomonaszelle von 2 nach 12 nach 6 Uhr - während sich die Amöbe (sichtbar an der außen liegenden Diatomeenschale) nicht wegbewegt.
Deine Interpretation wäre wirklich einleuchtend gewesen, und ich musste ins Video sehen, um mich zu vergewissern, dass sie hier leider nicht passt.
Gibt es eine Möglichkeit, solch ein Video ins Forum einzustellen? (Auf Youtube bin ich nicht angemeldet und möchte das auch nicht. Ich bekomme heute noch, fast 10 Jahre nach meinem letzten Maschinenkauf über den Maschinensucher (Netz), Werbung).
Ich bin gespannt, ob sich eine andere Möglichkeit auftut.
Schönen Gruß  --  Winfried


steffenclauss

#5
Hallo Winfried,

deine erste Aufnahme ist m.E. ungeeignet für eine Bestimmung, das Vieh ist leider zu platt gedrückt.
Aber deine zweite und dritte Amöbe halte ich aufgrund der aussagekräftigen Aufnahmen für bestimmbar.

Bei der zweiten Amöbe handelt es sich sehr wahrscheinlich um Hyalodiscus rubicundus ( Hertwig & Lesser, 1874) sowie bei der dritten Amöbe um Leptophrys vorax (Cienkowski, 1865; Zopf, 1885). Beide Amöben gehören zu der Familie der  Vampyrellida, wobei  Leptophrys und Hyalodiscus eine eigene Gattung darstellen. Bei den Gattungen bin ich mir absolut sicher, möchte mich aber nicht 100%ig auf die Art festlegen. Allerdings sind die genannten Arten sehr häufig zu finden und viele Bestimmungsrelevante Details (soweit erkennbar) passen sehr gut.

Hyalodiscus rubicundus kann sich schnell bewegen und zeigt dabei deutlich eine rollende Bewegung des äußeren Cytoplasmas. Im Zentrum befindet sich gut erkennbares, oft rötlich gefärbtes, granuliertes und vakuolenreiches  Plasma (Granuloplasma). Dieses hat auch eine höhere räumliche Ausdehnung, so dass es wie ein kleiner Buckel erscheint. Die rotbraune Farbe stammt von unverdauten Carotinoiden, welche neben dem verdauten Chlorophyll in den als Nahrung aufgenommen Grünalgen vorkommt. Weiterhin typisch für Hyalodiscus  sind die an den Rändern breit auslaufenden Lamellipodien (das ist das platte, dünne, farblose und leicht granulierte Pseudopodium, welches das Granuloplasma umgibt). An dessen Saum befinden sich viele kurze und fein hyaline Filopodien (das sind die feinen Spitzen an den Lamellipodien). Das Plasma ist durch die stark lichtbrechenden Membranosomen immer granuliert. Bei etwas platt gedrückten Exemplaren kann man gut den  Zellkern erkennen (öfters auch 2). Die Kerne sind rund und von einem klaren Hof umgeben (Speigelei). Die Größe der Zellen liegt oft zwischen 50-120 µm.

Die Trophozoiten (vegetative Zelle) von Leptophrys unterliegen einer ständig änderten Zellform und sind dabei extrem variabel, kontraktil (Licht!)sowie auch sehr verzweigt ohne dass das Plasma anastomisiert (vernetzt) Das Cytoplasma ist ebenfalls durch viele lichtbrechende Körnchen granuliert sowie auch sehr vakuolenreich. Sie bildet fein verzweigte, hyaline Filopodien welche in Bündeln an den lappenförmigen Enden auftreten und oft während der Bewegung wie angeklebt wirken. Leptophrys ernährt sich vorwiegend von kleinen Algen und  Diatomeen. Die Größe schwankt gewaltig von wenigen Zehntel-µm bis zu 500µm. Die Morphologie der Kerne ist ähnlich wie bei Hyalodiscus, jedoch zahlreicher und schwer zu erkennen.  Leptophrys bildet typische Verdauungscysten, wobei sich auch ein Individuum zu meheren Cysten abschnüren kann.
Interessant sind auch die kleinen Vampyrella-ähnlichen ,,Schwebeformen", welche wir oft bei Nahrungsmangel in Kultur beobachtet haben.

Hier noch ein paar Links mit weiteren Informationen und Bildern sowie Hinweisen auf weiterführende Literatur .

http://www.penard.de/Explorer/Cercozoa/Vampyrellida/

https://www.arcella.nl/hyalodiscus-rubicundus/
https://www.arcella.nl/leptophryidae/


Sebastian Hess  hat sich intensiv mit den Vampirelliden befasst und dazu sehr interessante Veröffentlichungen mit einzigartigen Aufnahmen hervorgebracht.

Hess et al. (2012), Shedding light on vampires: the phylogeny of vampyrellid amoebae revisited. PLoS ONE 7(2):e31165. doi: 10.1371/journal.pone.0031165.

Viele Grüße
Steffen

Winfried Hölz

Hallo Steffen,
vielen Dank für Deine ausführliche Antwort. Es ist leicht, mit diesen Angaben im Netz zu stöbern und zu finden, dass alles so richtig ist, wie Du schreibst. Danke! Man stößt übrigens gleich auf Forumsdiskussionen aus 2017 (Hyalodiscus) und S. Hess (Leptophrys).
Ein bisschen muss ich aber zur ersten Amöbe widersprechen, sie war wirklich nicht durch das Deckglas eingeengt, das zeigt das Video eindeutig. Du hast allerdings Recht, dass man anhand des Bildes oben wirklich keine Bestimmung vornehmen kann, dazu ist diese Momentaufnahme viel zu beliebig. Im Video bricht das Ektoplasma schwallartig fast den ganzen Kreis umlaufend hervor - nicht etwa in Form von diskreten Pseudopodien - und verschwindet dann allmählich wieder. Schon vor dem völligen Verschwinden des Ektoplasmas beginnt dann die Rotation wieder.
Die Vampyrella Arten habe ich zum ersten Mal gesehen, in einer Probe aus Nachbars Minifischteich.
Schönen Dank Euch allen, wieder etwas dazu gelernt - Gruß  --  Winfried

Gerd Schmahl

Hallo Winfried,
leider sehen wir sie nicht mehr. Da ist nur noch ein Pc-Upload-Platzhalter.
LG Gerd
Fossilien, Gesteine und Tümpeln mit
Durchlicht: Olympus VANOX mit DIC, Ph, DF und BF; etliche Zeiss-Jena-Geräte,
Auflicht: CZJ "VERTIVAL", Stemi: MBS-10, CZJ SMXX;
Inverses: Willovert mit Ph

Winfried Hölz

Moin Gerd,
bei mir sind - 14:03Uhr - alle Bilder da --??
Gruß  --  Winfried

liftboy

Hallo erstmal,

bei mir 16:44h ist nix außer Platzhaltern

Grüße
Wolfgang
http://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=785.msg3654#msg3654
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Das Erstaunen bleibt unverändert- nur unser Mut wächst, das Erstaunliche zu verstehen.
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