Ein glücklicher Planktonzug - das Rädertier Rhinoglena frontalis

Begonnen von Ole Riemann, April 05, 2020, 22:14:03 NACHMITTAGS

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Ole Riemann

Liebe Freunde des Tümpelns,

am vergangenen Wochenende habe ich in Planktonproben aus einem kleinen Teich in der Nähe von Würzburg in hoher Dichte das Rädertier Rhinoglena frontalis gefunden. Neben Rhinoglena frontalis traten auch andere Rädertierarten (aus den Gattungen Brachionus, Keratella, Filinia, Polyarthra, Notholca und Synchaeta) auf. Die einzigen zahlenmäßig auffallenden Phytoplankter waren nicht näher bestimmte Dinoflagellaten. Eine Situation also, bei der die Freiwasserlebensgemeinschaft von kleinen Zooplanktern geprägt war.

Funde des eigenartigen Rädertieres Rhinoglena frontalis sind schon für sich genommen interessant und nur zu bestimmten Zeiten des Jahres wahrscheinlich. Die Art ist an kühlere Gewässer angepasst und hat ihr Populationsmaximum im zeitigen Frühjahr, mit einer kurzen Sexualperiode bei der ersten Erwärmung des Wassers. Zum Zeitpunkt der Probenahme hatte ich offenbar genau den richtigen Moment erwischt; alle aufeinander folgenden Generationen im Lebenszyklus eines monogononten Rädertieres ließen sich in einer Probe beobachten und dokumentieren. Nähere Einzelheiten zur Fortpflanzungsbiologie der monogononten Rädertiere, auf die ich im Folgenden nicht weiter eingehen möchte, finden sich auf der Seite des Rädertierspezialisten Michael Plewka (http://www.plingfactory.de/Science/Atlas/KennkartenTiere/Rotifers/RotatorMorphologie/RotatorRepro1.html).

Abbildung A-C der folgenden Tafel zeigen jeweils ein Weibchen, Abbildung A ein amiktisches Weibchen mit einem Subitanei (Se), gebildet vom kugeligen Keimdotterstock (Kd), Abbildung B und C ein miktisches Weibchen mit einem derben, bestachelten Latenzei. Die Fokusebene in Abbildung C liegt auf dem arttypischen dorsalen Rüssel, der frontal zwei rot pigmentierte Augenflecken trägt:



Die folgenden drei Teilabbildungen (A-C) zeigen ein Männchen von Rhinoglena frontalis, mit von links nach rechts zunehmendem Deckglasdruck (zwei verschiedene Exemplare). Das Räderorgan (Ro) ist ähnlich dem der Weibchen gebaut und bildet auf der Ventralseite eine Trichterstruktur. Als Sinnesorgane fallen die Lateraltaster (Lt) und die roten Augenflecke im Rüssel auf. Biologisch besonders bemerkenswert an Männchen von Rhinoglena frontalis ist, dass sie – anders als sonst bei monogononten Rädertieren – keine Zwergmännchen mit starker struktureller Reduktion darstellen und nur etwas kleiner als die Weibchen sind. Wie auch bei den Weibchen treten ein Magen (Ma), Magendrüsen (Md) und der Mastax (Mx), der charakteristische Kaumagen der Rädertiere, auf. Man kann daher davon ausgehen, dass diese Männchen selbst Nahrung aufnehmen und nicht oder nicht ausschließlich über die Dauer ihrer kurzen Lebensspanne von mütterlicherseits mitgegebenen Vorratsstoffen leben. Im hinteren Abschnitt des Rumpfes tritt der Hoden (Ho) hervor:   



Anders als bei den Zwergmännchen der übrigen monogononten Rädertiere besitzen Männchen von Rhinoglena frontalis einen Kaumagen, den Mastax. Seine charakteristischen Grundbestandteile (unpaares Fulcrum Fu, jeweils paarige Rami Ra, Manubrien Ma und Unci Un) treten bei den Männchen wie auch bei den Weibchen auf. Dies zeigt die folgende Abbildung von Kauerquetschpräparaten: A stammt von einem amiktischen Weibchen, B von einem Männchen. Die Lage der Mastaxhartteile in den beiden Teilabbildungen ist nicht ganz identisch, so dass es nicht möglich ist, die Feinstrukturen im Detail zu vergleichen. Denkbar ist, dass die Zahl der feinen Uncuszähnchen beim Männchen gegenüber den Weibchengenerationen reduziert ist:



Im stärker gepressten Männchen zeigt sich bei höherer Vergrößerung deutlich der rundliche Hoden, der von Spermien (Sp) und an seinem zum Vas deferens weisenden Ausgang von Nadelstrukturen (Ns) erfüllt ist. In dieser Region liegen auch akzessorische Genitaldrüsen (aD). Der Pfeil verweist auf einen fadenförmigen Fortsatz der lang-elliptischen Spermien, die sich im lebenden Zustand in rascher Bewegung befanden:



Zum Abschluss richten wir den Blick noch auf Details bei einem miktischen Weibchen mit Latenzei. In der durchscheinenden Leibeshöhle sind Mastax (Mx), Magen (Ma) und Magendrüsen (Md) gut zu beobachten. Das Latenzei trägt ausgeprägte dreieckige Fortsätze, ist erfüllt mit lichtbrechenden Granula und zeigt in seinem Inneren mehrere Zellkerne (Pfeile). Es ist daher zu vermuten, dass das Latenzei als Dauerstadium in seiner Entwicklung nicht gänzlich bis zu einer späteren Wachstumsperiode der Population in folgenden Frühjahren arretiert ist, sondern dass erste Kernteilungen und Furchungen schon unmittelbar nach der Befruchtung stattfinden:



Beste Grüße

Ole

deBult

#1
Ole,

Thank you, was just reading my first introduction to rotatorians (Josef Donner).

Best, Maarten
Reading the German language is OK for me, writing is a different matter though: my apologies.

A few Olympus BH2 and CH2 stands with DIC and phase optics.
The correct number of scopes to own is N+1 (Where N is the number currently owned).

Michael Müller

Hallo Ole,

das ist ein sehr spannender Fund und - wie immer - fantastisch dokumentiert!

Besonders spannend fand ich bei den Bilder der Latenzeiern, dass die Dekoration der Eischale bereits vor der Eiablage voll ausgebildet ist. Bei Gastrotrichen quellen die Spitzen etc. erst bei Wasserkontakt. Die Schale härtet dann gleichzeitig aus und ist vor der Eiablage flexibel (sonst würde es nicht durch die Gonopore gepresst werden können).
Bei Deinem Fund sind die Spitzen bereits vor der Geburt ausgebildet - seltsam und für die Mutter alles andere als bequem, kann ich mir vorstellen. Ich glaube aber eine Membran zu erkennen, die um die Spitzen herumläuft und das Ei vielleicht inklusive der Spitzen nach außen abschließt. Es wäre interessant zu sehen, ob diese Membran nach der Eiablage beim Ei als äußere Hülle verbleibt. Eine entsprechende Diskussion gabs mal hier: https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=34344.0. Zumindest muss das Ei zur Ablage flexibel sein.
Interessant ist auch, dass Du im Latenzei bereits mehrere Zellkerne gefunden hast. Diese beginnende Entwicklung halte ich bei Latenzeier für ungewöhnlich. Das würde heißen, dass nach der Eiablage die Entwicklung unterbrochen werden müsste - seltsam!

Vielen Dank fürs zeigen

Michael

Gerne per Du

limno

Hallo Ole,
was für ein schöner Frühlingsgruß! Wie stets perfekt und lehrreich! :)
Begeisterten Dank von
Heinrich
So blickt man klar, wie selten nur,
Ins innre Walten der Natur.

derda

Hallo Ole,

vielen Dank für den schönen Beitrag. Ich habe gestern auch seit längerem mal wieder getümpelt und konnte dabei zahlreiche Rädertierchen finden. Leider haben meine Aufnahmen nicht für eine Bestimmung gereicht.

Viele Grüße

Erik

Ole Riemann

#5
... Besten Dank allen Interessenten für die Rückmeldungen.

@Michael: Bei vielen Rädertierarten ist bekannt, dass die Dauereier gar nicht abgelegt werden, sondern im Muttertier verbleiben und erst nach dessen Absterben freigesetzt werden. So auch bei Rhinoglena frontalis. Damit erübrigt sich die Problematik, das bestachelte Dauerei durch ein enges Lumen pressen zu müssen.

Die Entwicklungsbiologie der Dauereier ist sehr interessant: Du hast vollkommen recht mit der Beobachtung, dass die Entwicklung des Embryos einsetzt und dann aber für längere Zeiträume unterbrochen wird. Ich zeige im Folgenden noch einige weitere Bilder, die diesen Sachverhalt etwas illustrieren.

Hier sieht man ein Dauerei im optischen Schnitt, aufgenommen mit der Ölimmersion 63/1,25 unter besten Bedingungen, also sehr geringer Schichtdicke. Man erkennt, dass das Dauerei in seiner Peripherie von lichtbrechenden Körnern, vermutlich Speicherfetten, erfüllt ist. Deutlich abgesetzt von dieser Schicht liegen weiter innen die embryonalen Zellmassen; gelbe Pfeile verweisen auf die embryonalen Zellkerne. Reste des Keimdotterstockes (Germovitellar) mit degenerierten (?) Zellkernen (rote Pfeile) sind ebenfalls zu sehen:



Die von Dir angesprochene Hülle um das Dauerei interpretiere ich als Ovidukt, der mit dem Keimdotterstock eine strukturelle Einheit bildet. Auf dem folgenden Übersichtsbild ist der stark reduzierte Keimdotterstock als kleine Kappe oberhalb des Dauereies zu sehen:



Bei Untersuchung mit der Ölimmersion erkennt man, wie der Keimdotterstock und der zarte Ovidukt verbunden sind:



Beste Grüße

Ole

Klaus

Hallo Ole,

ein mir bislang unbekanntes Rädertier, sehr schön dokumentiert! Auch toll, dass Du Männchen gefunden hast. Das regt mich an, mich mal wieder mehr um Rädertiere zu kümmern.

Gruß nach Würzburg

Klaus

Bernd

Hallo Ole,

nicht nur ein glücklicher Fund. Die hast die günstige Gelegenheit erkannt und für eine perfekte Dokumentation genutzt. Die allermeisten Rädertierfreunde haben so was sicher selbst nach jahrelanger Suche nicht so vollständig vor die Linse bekommen.

Viele Grüße
Bernd

Martin Kreutz

Hallo Ole,

das darfst Du wohl als überglücklichen Fund bezeichnen und dann auch noch toll dokumentiert. Das Du auch noch Männchen gefunden hast, ist wirklich erstaunlich. Ich habe insgesamt vielleicht 4 -5 Mal ein Männchen eines Rädertieres in meinem Mikroskopikerleben entdeckt. Sind die Männchen bei Rhinoglena frontalis häufiger als bei anderen Rädertieren, oder war es wirklich nur Glück? Ich habe gerade mal geschaut, was Koste zu Rhinoglena frontalis schreibt. Angeblich neigt dieses Rädertier im Frühjahr zu Massenentwicklung in Kleingewässern und Teichen. Ich habe schon etliche Planktonproben durchsiebt, aber noch nie Rhinoglena gefunden. Ist die Probe aus Deinem berühmten Zypressensee?

Martin

Michael Müller

Hallo Ole,

Zitat von: Ole Riemann in April 07, 2020, 16:32:14 NACHMITTAGS
Bei vielen Rädertierarten ist bekannt, dass die Dauereier gar nicht abgelegt werden, sondern im Muttertier verbleiben und erst nach dessen Absterben freigesetzt werden.

da erübrigen sich wirklich alle Sorgen um die Mutter!  :(

Besonders interessant finde ich, dass bei Rädertieren die Embryonalentwicklung unterbrochen werden kann. Ähnliches habe ich auch bei einigen Gastrotrichenarten gesehen. Kennst Du irgendeine Literatur hierzu?

Danke für die tollen Fotos,

Michael
Gerne per Du

A. Büschlen

Hallo Ole,

danke für diese (auch für mich als Laie) ansprechende Doku. Deine Bilder haben mich einmal mehr zum staunen gebracht! Du hast sie gekonnt arrangiert. Olympus - DIK?

Viele Grüsse Arnold
Schwerpunkt z.Z.:
- Laub- und Lebermoose.
- Ascomyceten als Bryoparasiten.
- Nikon Optiphot I mit HF, DIC.
- Nikon Microphot mit HF, Pol.
- Zeiss Standard Universal mit HF, Ph, Pol.
- Wild M3Z mit Ergotubus.
- Nikon SMZ-U Zoom 1:10 mit ED Plan Apo 1x.

Ole Riemann

Liebe Kollegen,

vielen Dank!

@Bernd: ja, mir war schnell klar, dass ich würde rasch handeln müssen. Beim Blick durch die Stereolupe sah ich in der Probe in der Petrischale die miktischen Weibchen mit den großen (im Auflicht) hell leuchtenden Dauereiern. Dann mussten dort auch Männchen sein; also neue Proben holen und dann die eine oder andere nächtliche Mikroskopie-Session.

@Martin: soviel ich weiß, treten die Männchen bei Rhinoglena frontalis nicht häufiger als die bei anderen Arten auf. So selten sind aber Rotiferen-Männchen gar nicht. Bei planktischen Arten kann man zu Zeiten des Populationsmaximums gezielt (unter der Stereolupe) nach ihnen suchen. Sie verraten sich durch ihre viel raschere Bewegung und geringere Größe. Vor Jahren habe ich z.B. regelmäßig im Plankton der Hamburger Außenalster Brachionus-Männchen gefunden.

Meine aktuellen Proben stammen nicht aus dem Zypressensee, sondern aus einem bescheidenen, ca. 15 x 50 m messenden Teich in einem Talgrund bei Würzburg. Der Teich ist erst vor einigen Jahren angelegt worden und staut einen Bach auf. Der Bewuchs mit Wasserpflanzen ist schütter, die Wassertiefe gering, der Boden sandig. Ich vermute, der Teich ist relativ nährstoffarm.

@Michael: z.B. Boschetti C et al. (2011) Developmental stages in diapausing eggs, an investigation across monogonont rotifer species - diesen Tipp hat mir Michael Plewka gegeben. Falls Du das PDF nicht bekommst, schicke ich es Dir gerne per Email.

@Arnold: Beides - der zweite Schwung Bilder ist mit dem Zeiss Axiophot (Unendlich-Optik) aufgenommen, die erste Lieferung (bis auf die Männchen-Aufnahme C) mit dem Olympus BHS (Endlich-Optik).

Beste Grüße

Ole


Rawfoto

Hallo Ole

Wirklich beeindruckend, Gratulation :)

Liebe Grüße

Gerhard
Gerhard
http://www.naturfoto-zimmert.at

Rückmeldung sind willkommen, ich bin jederzeit an Weiterentwicklung interessiert, Vorschläge zur Verbesserungen und Varianten meiner eingestellten Bilder sind daher keinerlei Problem für mich ...

Heiko

Lieber Ole,

welch' spannende Geschichte, auch im Zusammenhang mit Michaels Beschreibungen zur Kopulation, wie trefflich illustriert – so geht Mikroskopie.

Viele Grüße,
Heiko