Botanik: Typisch Solanaceae - Die Giftbeere (Nicandra physaloides)

Begonnen von Fahrenheit, September 25, 2021, 08:33:12 VORMITTAG

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Fahrenheit

Liebe Pflanzenfreunde,

heute möchte ich euch Querschnitte vom Spross der Giftbeere (Nicandra physaloides) zeigen, von einer Probepflanze, die Maria dankenswerter Weise mit zum Dörnbergtreffen gebracht hat. Die Giftbeere ist ein Nachtschattengewächs, gehört also zur Familie der Solanaceae und weist wie eigentlich alle Familienmitglieder eine Besonderheit im Bau der Leitgewebe des Sprosses auf. Um die soll es hier nun gehen. Zunächst jedoch wie immer ein Wenig zur Pflanze selbst:


Die Giftbeere (Nicandra physaloides)

Die Giftbeere (Nicandra physalodes, auch Nicandra physaloides) ist die einzige Art der monotypischen Gattung Nicandra aus der Familie der Nachtschattengewächse (Solanaceae) in der Ordnung Solanales. Die Herkunft der Giftbeere liegt in den Anden Südamerikas, wo sie von Peru bis ins nördliche Argentinien zu finden ist.
Die schöne Pflanze wird bereits seit dem 18. Jahrhundert als Zierpflanze verwendet, wegen ihrer Giftigkeit, ihrer Größe und dem für manche unangenehmen Geruch findet man sie allerdings nicht all zu häufig. Ausgewildert hat sie es jedoch geschafft, sich als Neophyt in vielen Ländern zu etablieren. Dazu zählen z.B. Die USA inklusive Hawaii, Australien (Ostküste), Indien und Mosambik aber auch Länder in gemäßigten Breiten wie Großbritannien und die Niederlande. Seltener ist sie auch in Deutschland schon zu finden.
Nicandra physaloides gedeiht an Weg- und Feldrändern und auf Ruderalflächen, aber auch an den Ufern von Gewässern oder an Waldrändern.

Bild 1: Habitus der Giftbeere (Nicandra physaloides)

Aus Wikipedia, User TeunSpaans, CC BY-SA 3.0

Der Gattungsname Nicandra leitet sich von dem griechischen Arzt Nikandros (2. Jhd. v. Chr.) ab, der die Pflanze jedoch nie gesehen hat. Allerdings hat er ein Buch über Pflanzengifte geschrieben ... . Das Artepitheton physaloides (oder physalodes) weist auf die Ähnlichkeit mit den Pflanzen der Gattung Physalis hin, zu denen jedoch keine Verwandtschaft besteht.

Die einjährige Pflanze kann 2 m hoch werden, und erreicht in den Tropen sogar 3 m. Der grüne Spross ist oft rötlich überlaufen und an der Basis mehrere Zentimeter dick.

Die Blätter erreichen bei einer Breite von bis zu 10 cm inklusive Blattstiel Längen von bis zu 35 cm. Sie sind spitz auslaufend und grob gezähnt mit eingesenkten Blattadern.

Bild 2: Eine Blüte

Aus Wikipedia, User Boronian, CC BY-SA 3.0

Die 2 bis 4 cm großen aufrechten, später nickenden Blüten sind glockenartig und von hellblauer Farbe mit einem weißen bis gelblichen Grund. Seltener findet man auch gänzlich weiße Blüten. In jeder Blattachsel entspringt nur eine Blüte. Die Blütezeit reicht von Juni bis September.

Bild 3: Die leicht verwelkte Blüte des Probeexemplars


Die mit ca. 1 mm Durchmesser kleinen Samen befinden sich in einer etwa 1 cm großen kugeligen Beerenfrucht, die ballonartig von den nur am Grund zusammengewachsenen Kelchblättern umgeben ist - ähnlich den Blasenkirschen der Gattung Physalis. Reift die Frucht, färben sich die zunächst grünen Kelchblätter braun, dann ist ihre typische, netzartige Nervatur besonders gut zu erkennen.

Bild 4: Früchte der Giftbeere

Aus Wikipedia, User Karelj, CC BY-SA 3.0

Alle Pflanzenteile der Giftbeere sind giftig, besonders aber die Wurzeln, in denen sich verschiedene Alkaloide anreichern. Hauptsächlich handelt es sich dabei um Hygrin und Tropinon. Ebenfalls in der Pflanze enthalten sind diverse Withanolide, von denen u. a. Nicandrenone für eine zytotoxische Wirkung bekannt ist.
Die Vergiftungserscheinungen ähneln denen einer Hyoscyamin-Vergiftung, allerdings mit schwächer ausgeprägten Symptomen wie Kopfschmerzen, Benommenheit, Übelkeit, Erbrechen, starker Durst, Mundtrockenheit, Schluckbeschwerden, Hautrötung, zunächst erhöhter Puls (Tachykardie) dann auch verlangsamter Puls (Bradykardie), Unruhe/Erregung, Pupillenerweiterung.

Bild 5: Samen der Giftbeere

Aus Wikipedia, von Steven Hurst, USDA-NRCS PLANTS Database, gemeinfrei

Die hier zusammengestellten Informationen stammen von den folgenden Webseiten:
https://de.wikipedia.org/wiki/Giftbeere
https://offene-naturfuehrer.de/web/Nicandra_physaloides_%E2%80%93_Giftbeere_(JKI-Pflanzenportraits)
https://www.pflanzen-deutschland.de/Nicandra_physalodes.html

Literatur:
Atlas of Stem Anatomy in Herbs, Shrubs and Trees; Schweingruber, Börner, Schulze; Springer, 2013; Vol. 2 Seite 272 ff. Solanaceae

Bild 6_ Illustration aus Flora Batava of Afbeeldingen en Beschrijving van Nederlandsche Gewassen, XII. Deel

Aus www.biolib.de von Christiaan Sepp, 1865, gemeinfrei. Scan von Kurt Stüber


Hier die Informationen zur Präparation

Geschnitten habe ich ein ca. 4 bis 5 mm dickes Sprossstück freistehend auf dem Jung Zylindermikrotom mit Leica Einmalklingen 818 im SHK Halter
Die Schnittdicke beträgt je ca. 50µm.

Fixiert wurden diese für ca. 20 Minuten in AFE. Nach Überführen in Aqua dest. waren die Schnitte dann bereit für die Färbung.

Die Färbung ist W3Asim I nach Rolf-Dieter Müller. Gefärbt habe ich mit dem Farbgemisch für ca. 8 Minuten mit einmaligem leichten Erwärmen.

Anschließend habe ich wieder gut mit Aqua dest. gespült und für ca. 20 Minuten mit einmaligem Wechsel des Wassers sanft differenziert.

Eingedeckt wurden die Schnitte nach gründlichem Entwässern mit reinem Isopropanol wie immer in Euparal.

Die Präparation erfolgte auf dem Dörnbergtreffen 2021, daher das verkürzte Protokoll


Kurz zur verwendeten Technik

Die Aufnahmen sind auf dem Leica DMLS mit dem NPlan 5x sowie den PlanApos 10x, 20x und 40x entstanden. Die Kamera ist eine Panasonic GX7, die am Trinotubus des Mikroskops ohne Zwischenoptik direkt adaptiert ist. Die Steuerung der Kamera erfolgt durch einen elektronischen Fernauslöser. Die notwendigen Einstellungen zur Verschlusszeit und den Weißabgleich führe ich vor den Aufnahmeserien direkt an der Kamera durch. Der Vorschub erfolgt manuell anhand der Skala am Feintrieb des DMLS.

Alle Mikroaufnahmen sind mit Zerene Stacker V1.04 (64bit) gestackt. Die anschließende Nachbereitung beschränkt sich auf die Normalisierung und ein leichtes Nachschärfen nach dem Verkleinern auf die 1024er Auflösung (alles mit XNView in der aktuellen Version). Bei stärker verrauschten Aufnahmen lasse ich aber auch mal Neat Image ran.


Und nun zu den Präparaten

Zunächst der Spross in der Übersicht:

Bild 7a-e: Spross der Giftbeere, Bilder 7c & e mit Beschriftung






Der Sprossquerschnitt ist insgesamt quadratisch mit verstärkten Kanten. Zunächst sehen wir den für viele einjährige, krautige Pflanzen üblichen Aufbau: Unter einer Epidermis 8Ep) mit recht dünner Cuticula (Cu) liegt das Rindenparenchym RP. An den Ecken des Sprosses finden wir zusätzlich ein versteifendes Kollenchym (Kol) oberhalb des Rindenparenchyms. Darunter folgt das Phloem (Pl) und getrennt durch ein Cambium (Ca) das Xylem (Xl) das in einen Sklerenchymring (Skl) eingebunden ist. Zum Xylem gehören viele großlumige Tracheen (T).
Nun aber kommt die bei vielen Solanaceen und so auch bei der Giftbeere zu beobachtende Besonderheit: auf dem Weg zur Sprossmitte folgt auf das Xylem noch einmal ein - nun innen liegendes oder internes - Phloem (iPl). Es bildet keinen geschlossenen Ring sondern tritt nur bei den initialen Leitbündeln auf.
Auch im Markparenchym (MP)selbst finden sich noch einige kleine Nester des internen Phloems. 

Schauen wir jetzt beim internen Phloem etwas genauer hin:

Bilder 8a-c: Internes Phloem bei der Giftbeere, Bild 8c mit Beschriftung




Wir sehen, dass das innen liegende Phloem auch unterhalb des Xylems in kleinen, durch parenchymatische Zellen getrennten Gruppen angelegt ist. Die Siebplatten (SP) der Siebzellen zeigen, dass es sich wirklich um ein Phloem handelt. Den Übergang zum Markparenchym bildet hier ein nicht besonders stark lignifiziertes Sklerenchym (Skl).

Schauen wir einmal, wie sich das bei anderen Pflanzensprossen aus der Familie der Solanaceae darstellt (Beschriftung analog der Bilder oben):

Bild 9a-b: Internes Phloem beim Gemeinen Stechapfel (Datura stramonium)



Hier ist das innen liegende Phloem nicht so intensiv ausgeprägt, es finden sich weniger zusammenhängende Bereiche sondern hauptsächlich kleine Gruppen von Sieb- und Geleitzellen.
Original-Beitrag im Forum: https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=38548.0

Bilder 10a-d: Internes Phloem beim Gemeinen Bocksdorn (Lycium barbarum), Bilder 10b & d mit Beschriftung





Anders als Giftbeere und Stechapfel ist der gemeine Bocksdorn ein Strauch, seine Sprosse verholzen also. Trotzdem finden wir auch hier unterhalb des Xylems zur Sprossmitte hin ein innen liegendes Phloem. Auffällig sind die sichelförmig angeordneten und dunkel gefärbten Zellen zwischen dem internen Phloem und dem Markparenchym. Hier wurde das inetrne Phloem im Laufe des sekundären Dickenwachstums gestaucht und ist untergegangen.
Original-Beitrag im Forum: http://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=12603.0

Das nächste Beispiel ist die in der Beschreibung schon angesprochene Kappstachelbeere in Aufnahmen aus dem Jahr 2010. Hier konnte ich für das beschriftete Bild mit Maßstab (11c) nur die damals gemachte Aufnahme in der 800er Auflösung benutzen, da mir die Daten für eine korrekte neue Bemaßung nicht mehr vorliegen. Dies gilt auch für die beschrifteten Bilder vom Schwarzen Nachtschatten (12b&e).

Bilder 11a-c: Internes Phloem bei der Kapstachelbeere (Physalis peruviana), Bild 11c mit Beschriftung




Bei der Kapstachelbeere finden wir nur ganz kleine Gruppen internes Phloem im Markparenchym verstreut, manchmal gepaart mit einigen Sklerenchymzellen.
Original-Beitrag im Forum: http://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=7322.0

Zum Schluss noch einige Aufnahmen vom schwarzen Nachtschatten, bei dem ich zum ersten Mal ein internes Phloem gefunden habe.

Bilder 12a-e: Internes Phloem beim Schwarzen Nachtschatten (Solanum nigrum), Bilder 12b & e mit Beschriftung






Auch beim schwarzen Nachtschatten liegt das interne Phloem in kleinen Gruppen vor, die hier jedoch wie Perlen an einer Schnur am unteren Rand der primären Leitbündel liegen.
Original-Beitrag im Forum: http://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=6931.0

Vielen Dank fürs Lesen, Anmerkung und Kritik sind wie immer willkommen!

Herzliche Grüße
Jörg
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Detlef Kramer

Dr. Detlef Kramer, gerne per DU

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jcs

Hallo Jörg,

sehr gelungene Schnitte und interessante botanische Infos!

Jürgen

Fahrenheit

Guten Morgen Detlef und Jürgen,

vielen Dank für Euer Lob, es freut mich sehr, dass Euch der Beitrag gefällt!

Herliche Grüße
Jörg
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Detlef Kramer

Lieber Jörg,

ich sage Dir auch gerne, warum mir dieser Beitrag besonders gut gefällt. Technisch perfekt sind Deine Beiträge eigentlich immer und seit Langem auch bei den Beschriftungen fehlerfrei. Aber dieses Mal hast Du die Strukturen des Phloems sehr genau unter die Lupe genommen. Das ist aus der Sicht der funktonellen Anatomie sehr wichtig und ausgezeichnet.

Schönen Sonntag,
Detlef
Dr. Detlef Kramer, gerne per DU

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Hans-Jürgen Koch

Plants are the true rulers - Pflanzen sind die wahren Herrscher.

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Gerne per "Du"

Fahrenheit

Lieber Detlef,

noch einmal vielen Dank! So etwas aus Deinem Mund freut mich immer besonders.
Ich habe noch einen Beitrag in Vorbereitung, da wird es um komplette Leitbündel im Markparenchym gehen. Mal schauen, ob ich das ohne Längsschnitte hin bekomme.

Lieber Hans-Jürgen,

auch Dir vielen Dank für Dein Lob!  :D

Euch beiden herzliche Grüße und einen schönen Restsonntag!
Jörg
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M Beier

Hallo Jörg,
wirklich wunderschöne Bilder! Bei dir werden die Farben immer so schön klar.

Da die Apfelsaftaktion bei uns im Dorf jetzt durch ist (ca 4 Tonnen Äpfel in 2300l Saft umgewandelt) habe ich auch wieder Zeit mich ans Mikroskop zu setzten. Die Pflanzen blühen noch schön und bis zu ersten Frost werde ich sicher noch ein paar Schnitte fertigstellen. Mit der Seifeneinbettung wollte ich mich mal an Längsschnitte wagen.
Die Pflanze soll Schädlinge (weiße Fliege) vertreiben, die es bei mir im Garten auch nicht gibt. ;) Sie sät sich jedes Jahr von selbst wieder aus. Wenn es mir zu viel wird, reiße ich die kleinen Pflanzen raus. Bienen und Hummeln mögen sie auch.

Gruß Maria

rhamvossen

Hallo Jörg,

Hut ab, das ist mal wieder grosse Klasse was du da gemacht hast. Beste Grüsse,

Rolf

Fahrenheit

Liebe Maria,

4 Tonnen Äpfel, das ist ja mal ne Hausnummer. ;)

Viel Erfolg bei Deinen Schnitten, es wäre toll, wenn Du sie dann hier zeigen würdest.

Lieber Rolf,

auch Dir vielen Dank für Dein Lob!

Herzliche Grüße
Jörg
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Jürgen H.

Hallo Jörg,

wie immer bei Dir, eine tolle Präsentation.

Zwei kleine Fragen, da ich ja das gleiche Mikroskop und die gleiche Kamera für meine Aufnahmen verwende:

Hast Du die Wackelei zwischen Hoch- und Querformat bei waagerechtem Stand des Mikroskops in den Griff bekommen? Und da Du schreibst, dass Du Verschlusszeit an der Kamera einstellst: Verwendest Du nicht die image app von Panasonic?

Viele Grüße

Jürgen

Fahrenheit

Lieber Jürgen,

auch Dir vielen Dank für Dein Lob!

Seit ich die App nicht mehr verwende, gibt es auch kein unmotiviertes Wechseln der Formate mehr. Für mich bringt die Steuerung der Auslösung über den Rechner nur Nachteile, da Mikroskop und Rechner etwa 1,5 Meter auseinander stehen. Ich nutze eine SD Karte und übertrage die Bilder nach der Fotosession manuell. Dafür kann ich direkt am Mikroskop auslösen: ich habe einen (Funk-) Fernauslöser angeschlossen.
Der Kabelgebundene hat nach ca. 1500 Auslösungen geprellt, der Umstieg hat sich gelohnt.

Herzliche Grüße
Jörg
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