Hauptmenü

Arme Schweine

Begonnen von Martin Kreutz, September 30, 2021, 11:03:06 VORMITTAG

Vorheriges Thema - Nächstes Thema

Martin Kreutz

Liebes Forum,

im letzten Sommer habe ich die überschwemmten Wiesen nach einem Hochwasser der Aach bei Radolfzell/Böhringen beprobt. Es hatten sich auf den angrenzenden Viehweiden flache, aber dauerhafte Tümpel gebildet:



Einige Davon waren mit Kuhdung extrem stark eutrophiert. Davon habe ich auch Proben genommen. Zu Hause sah ich schon mit bloßem Auge, dass sich in der Probe Millionen von Wasserflöhen befanden. Eine soche dichte Konzentration ohne Verwendung eines Planktonnetzes hatte ich bisher noch nie gesehen. Unter dem Mikroskop dann die nächste Überraschung. Alle Wasserflöhe hatten ein pelziges Erscheinungsbild:




Bei höherer Vergrößerung konnte man erkennen, dass es sich offensichtlich um einen Pilzbefall mit sichelförmigen Zellen handelte:




Selbst junge Exemplare waren schon befallen, wenn auch in geringerem Umfang:



In der ganzen Probe konnte ich kein einziges unbefallenes Exemplar entdecken. Alle Wasserflöhe waren von der gleichen Art. Ohne die Merkmale genau zu überprüfen, glaube ich, dass es sich um Moina brachiata handelt.  Dieser Wasserfloh ist dafür bekannt, in eutrophen Gewässern vorzukommen, jedoch halte ich den Pilzbefall für ungewöhnlich.

Ich habe einige Exemplare gequetscht um den verursachenden Pilz genauer zu sehen. Die "Schläuche" enthalten mehrere Zellkerne. Offensichtlich findet die Sporenbildung in diesen Schläuchen statt:




Bei Pilzen bin ich völlig blank. Ich weiß nicht, um was es sich handeln könnte. Vielleicht kann jemand im Forum mehr dazu sagen.

Martin

beamish

Zeiss RA mit Trinotubus 0/100
No-Name China-Stereomikroskop mit Trinotubus
beide mit Canon EOS 500D

Martin Kreutz

Hallo Martin,

vielen Dank für Deine Hilfe! Ja, dass scheint Amoebidium parasiticum zu sein. Offensichtlich kein parasitärer Pilz, sondern ein aufsitzender Kommensale, so ähnlich wie viele peritriche Ciliaten Arthropoden besiedeln. Dies erklärt, warum auch alle Wasserflöhe in der Probe aktiv am Rudern waren, ohne Anzeichen einer Beeinträchtigung.

Schönen Abend

Martin

beamish

Deine Aufnahmen scheinen mir auch die besten zu sein, die man im Netz von A. p. finden kann. Hast du vielleicht auch Aufnahmen der Sporangien mit dem 40er oder 100er ohne DIC, bei denen man den Inhalt differenzierter erkennt? DIC ist nicht für alles die beste Lösung.

Herzlich
Martin
Zeiss RA mit Trinotubus 0/100
No-Name China-Stereomikroskop mit Trinotubus
beide mit Canon EOS 500D

Martin Kreutz

Hallo Martin,

tut mir leid, ich habe von diesem Fund nur 16 Aufnahmen gemacht. Die ersten 8 sind Übersichtsaufnahmen im HF und 8 weitere Aufnahmen mit DIK und Obj.. 100 X. Sie zeigen leider keine weiteren Details als auf den eingestellten Fotos. Aber jetzt, wo ich weiß worum es sich handelt und dass es wenige Aufnahmen gibt, werde ich mein nächsten Wiedersehen mal draufhalten!

Martin

Michael Plewka

Hallo Martin,


mal wieder eine sehr interessante Beobachtung von Dir; diesen Pilz habe ich vorher noch nie auf Copepoden wahrgenommen.
Abgesehen von der Frage, um welchen Pilz es sich handelt (scheint ja nun geklärt)  finde ich aber noch weitere Aspekte interessant:

Du weist ja auch auf die ähnliche Situation beim "Befall" mit peritrichen Ciliaten hin.  Auf Deinen Bildern kann man aber ausschließlich den Befall mit dem Pilz erkennen, peritriche Ciliaten sind nicht vorhanden. Waren die überhaupt nicht da? Besteht somit  möglicherweise eine Konkurrenz zwischen diesen Arten von Ektoparasiten/ Kommensalen (über letztere Begriffe   kann man in diesem Fall sicher auch noch  diskutieren...)? 

Die Besonderheit Deiner Beobachtung liegt ja auch in der scheinbar 100% Häufigkeit des Befalls der Krebse.

Die Häutungen, die  ja bei vielen Krebsen stattfinden, haben zwar einerseits was mit dem Wachstum der Viecher zu tun, aber stellen auch eine Strategie dar, solche Ektoparasiten/ Kommensalen   loszuwerden, so dass man in Planktonproben  sowohl eine unterschiedliche Häufigkeit als auch eine unterschiedliche Dichte der Besiedlung von peritrichen Ciliaten auf den  Krebsen   beobachtet. Einen so extrem starken Befall wie in Deinem Fall durch die Pilze kenne ich in solchen Planktonproben nicht. Diese Häutungs-"Strategie" scheint also hier nicht zu funktionieren. Es scheint somit  die in diesem Fall ungewöhnlich hohe Populationsdichte der Krebse die Ursache  zu sein, welche die starke und schnelle Ausbreitung der Pilze zur Folge hat.

Dazu fällt mit dann die Vokabel: "Pandemie" ein....

Beste Grüße
Michael Plewka

Florian D.

Zitat von: Michael Plewka in Oktober 02, 2021, 09:12:04 VORMITTAG
mal wieder eine sehr interessante Beobachtung von Dir; diesen Pilz habe ich vorher noch nie auf Copepoden wahrgenommen.
Abgesehen von der Frage, um welchen Pilz es sich handelt (scheint ja nun geklärt)  finde ich aber noch weitere Aspekte interessant:

Hallo Michael,

Diese Ophistokonten scheinen ja auch näher mit den Tieren als mit den Pilzen verwandt zu sein:  https://en.wikipedia.org/wiki/Opisthokont

Viele Grüsse
Florian

Martin Kreutz

Hallo Michael,

das mit dem peritrichen Ciliaten ist eventuell ein Missverständnis. In der besagten Probe habe ich keinen Befall der Wasserflöhe mit peritrichen Ciliaten gefunden, sondern ausschließlich mit dem Pilz. Es gab also keine Konkurenzsituation zwischen zwei Kommensalen. Das hier die "Häutungsstrategie" nicht funktioniert hat, liegt mit Sicherheit an der enorm hohen Populationsdichte der Wasserflöhe und dem sehr begrenzten Lebensraum. Da hatte die "Pandemie" durch Amoebidium leichtes Spiel! Wie flott die Durchseuchung bei genügend hoher Wirtsdichte geht, hat man ja am Coronavirus gesehen.

Schönen Abend

Martin


beamish

Hallo Martin,
es wäre schon cool, wenn du den Lebenskreislauf von A.p. mit deinen tollen Fotos illustrieren könntest.
https://www.dropbox.com/s/9m88ayw8ao1n34x/Amoebium_parasiticum_life_history.jpg?dl=0

Grüße
Martin
Zeiss RA mit Trinotubus 0/100
No-Name China-Stereomikroskop mit Trinotubus
beide mit Canon EOS 500D