Interessante Pilzfunde 49 - Wiesenegerling (Wiesenchampignon)

Begonnen von Bernd Miggel, September 07, 2022, 22:40:26 NACHMITTAGS

Vorheriges Thema - Nächstes Thema

Bernd Miggel


Allgemeines
Heute möchte ich einen recht bekannten und gleichzeitig vorzüglichen Speisepilz beschreiben, den Wiesenegerling Agaricus campestris.
Wenn man auf einer Weide oder Wiese einen weißen Champignon sieht, tippt man gerne auf den häufigen Wiesenegerling. Aber so einfach ist das nicht: Die Gattung Agaricus (Egerlinge) umfasst nach GMINDER, A. (2014) in Mitteleuropa knapp einhundert, teilweise schwer unterscheidbare Arten. Bei den Egerlingen handelt es sich um Saprobionten, und zwar um Humuszersetzer. Ein Großteil der Arten ist essbar; allerdings existieren auch ein paar magen- und darmgiftige Arten. Je nach Art wachsen Egerlinge auf Wiesen/Weiden, in Wäldern, sogar in Salzwiesen und auf Dünen. Wenn man bedenkt, dass es Zwergegerlinge mit 20-30 mm und Riesenegerlinge mit bis zu 250 mm Hutdurchmesser gibt (BREITENBACH, J. & KRÄNZLIN F. (1995)), dann zählt der Wiesenegerling mit 50-100 mm Hutdurchmesser zu den nur mäßig großen Arten.
Obwohl man den Wiesenegerling problemlos am Fundort aufgrund seines Geruchs, seines Geschmacks und seiner makroskopischen Merkmale  erkennen kann, möchte ich ihn hier ausführlich beschreiben. 

Der Fund
Ein Naturfreund meldete mir von einer im Frühjahr von Schafen beweideten Streuobstwiese, direkt auf einem Wiesenweg, mehrere weiße Champignons. Nach seiner Vermutung handelte es sich um den Stadtegerling Agaricus bitorquis. Am 7.9.2022 konnte ich die Pilze in Augenschein nehmen und anschließend zu Hause gründlich untersuchen: Es waren Wiesenegerlinge Agaricus campestris.

Da die Bilder lt. Admin. nicht in den laufenden Text eingebettet werden sollen, empfielt es sich zur besseren Übersicht, den Beitrag in zwei getrennten Fenstern zu öffnen und diese nebeneinander zu platzieren, den Text in einem, die Bilder im anderen Fenster.

Die Fruchtkörper (Bilder 1 und 2)
Hut weiß, eingewachsen faserig mit ein paar angedeuteten Faserschuppen, seidig glänzend, beim größten Exemplar 62 mm im Durchmesser.
Lamellen dünn, 7 mm breit, bauchig, am Stiel frei, bei jungen Exemplaren schön rosa, bei reifen Fruchtkörpern dunkelbraun.
Stiel weiß, matt glänzend, gleichdick, enghohl, etwas gebogen, basal etwas ausspitzend, beim größten Exemplar 35 x 12 mm.
Ring dünn, hängend, d.h. nach oben abziehbar und beim größten Exemplar fast verschwindend.
Fleisch im Hut und Stiel weiß, beim größten Exemplar im unteren Hutbereich graulich, an der Luft weder gilbend noch rötend.
Geruch und Geschmack schwach, angenehm, ähnlich wie beim Zuchtchampignon.

Diese angegebenen Merkmale legen die Art bereits als Wiesenegerling fest.

Makrochemische Farbreaktionen (Bilder 3 und 4)

Kalilauge (hier 20-prozentig) auf dem Hut: negativ, d.h. nicht deutlich gelb.
Schäffersche Kreuzreaktion (kreuzweise zuerst Anilin, dann Salpetersäure): negativ, d.h. im Kreuzungspunkt der beiden Chemikalien nicht feuerorange.

Mikromerkmale
Die Basidien (Bild 5) besitzen vier Sterigmen, sind also viersporig.
Die Farbe des ausgefallenen Sporenstaubs ist braun.
Die Sporen (Bild 6) sind elipsoid bis mandelförmig, braun und dickwandig.
Gemessene Werte in Wasser (27 repräsentative Sporen, 95-prozentige Wahrscheinlichkeit, B Breite, L Länge, Q Schlankheitsgrad = L/B, V Volumen, av Average/Durchschnitt):
B x L = 5,9-7,2 x 3,7-4,6 µm; Bav x Lav = 6,4-6,7 x 4,0-4,2 µm; Qav =  1,56-1,63; Vav = 55-62 µm3

Verwechslungsmöglichkeiten mit ähnlichen, auf Wiesen/Weiden wachsenden Egerlingen
Der Stadtchampignon Agaricus bitorquis wächst eher an Weg- und Straßenrändern. Er ist dickfleischiger und hartfleischiger, und sein Ring am Stiel ist doppelt: der untere Teil volvaartig aufsteigend, d.h. nach unten abziehbar.
Der Schafchampignon Agaricus arvensis ist größer, der Fruchtkörper gilbt deutlich und riecht nach Anis.
Der Großsporige Champignon Agaricus macrosporus (Syn. A. urinascens) besitzt einen viel größeren und dickfleischiger Hut. Sein Geruch ist jung schwach anisartig,ausgewachsene Exemplare riechen unangenehm. Die Sporen sind mit 12 x 6 µm sehr viel größer.
Der Karbolegerling Agaricus xanthodermus gilbt stark und besitzt eine chromgelbe Stielbasis. Der Geruch, besonders beim Kochen, ist unangenehm. Außerdem ist der Pilz giftig.

Empfehlenswerte Literatur

BREITENBACH, J. & KRÄNZLIN F. (1995): Pilze der Schweiz Bd. 4, Blätterpilze 2. Teil. - Verlag Mykologia, Luzern: Nr. 174.
GMINDER, A. (2014): Handbuch für Pilzsammler. 340 Arten Mitteleuropas sicher bestimmen. – Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG, Stuttgart: 196-201.
https://fundkorb.de/pilze/agaricus-campestris-wiesenchampignon
http://tintling.com/pilzbuch/arten/a/Agaricus_campestris.html
https://de.wikipedia.org/wiki/Wiesen-Champignon


Viel Vergnügen beim Anschauen!

Bernd



Alle Fundberichte in der Übersicht: https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=42360.msg312080#msg312080
Fachausdrücke, Abkürzungen: https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=41611.msg306729#msg306729


Die Bilder (von oben nach unten Bild 1 bis Bild 6):

Buld 1: Das größte, vollreife Exemplar am Fundort: Hut und Stiel weiß, seidig glänzend, Stiel basal leicht ausspitzend; Ring hängend, dünn, fast vergangen; Lamellen braun, bauchig, außen gerundet, am Stiel frei, dunkelbraun.
Bild 2: Fruchtkörper im Längsschnitt: Die Lamellenform ist hier gut abzulesen; der Stiel ist einghohl; das Fleisch im Stiel und im oberen Hutbereich weiß, im unteren Hutbereich graulich.
Bild 3: negative KOH-Reaktion auf dem Hut. Eine positive Reaktion wäre knallgelb.
Bild 4: negative Schäffersche Kreuzreaktion. Bei positiver Reaktion würde die Kreuzung eine feuerorange Farbe annehmen.
Bild 5: Die viersporigen Basidien, schräg von oben fotografiert. Bei sämtlichen Basidien sind die Sporen bereits abgefallen, so dass nur noch die Sterigmen zu sehen sind.
Bild 6: Bemaßte Sporen in Wasser. Sie sind elliptisch bis mandelförmig, dickwandig und braun.



jcs

Die Vielfalt der Pilzwelt ist schon bemerkenswert, danke für diesen schönen Beitrag mit den interessanten Erläuterungen und den gut aufbereiteten Bildern!

Jürgen

ImperatorRex

Hallo Bernd,
auch für mich als "nicht Pilzler" ein wirklich sehr interessanter Beitrag. Vielen Dank für diesen tollen Beitrag!
Liebe Grüße
Jochen

Bernd Miggel

Hallo,

wenn viele Kommentare kommen, macht mir die Sache doppelt so viel Freude!

lg - Bernd