Mikroskopieren zum Jahreswechsel - einige beschalte Amöben

Begonnen von Ole Riemann, Januar 02, 2023, 22:22:02 NACHMITTAGS

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Ole Riemann

Liebe Mikroskopiefreunde,

zum Jahreswechsel habe ich endlich etwas mehr Zeit, Proben zu nehmen und zu mikroskopieren. Selbst um diese Jahreszeit findet man als Tümpler interessante Objekte, wie die Beiträge in den vergangenen Wochen zum Thema "Mikroskopisches Leben unter dem Eis" gezeigt haben.

Ich habe in den letzten Tagen in einem Sphagnumsumpf zahlreiche beschalte Amöben gefunden und viele davon im lebenden Zustand mikroskopieren können. Für mich war das weitgehend mikroskopisches Neuland; Nebela, Difflugia und Euglypha - um nur ein paar Gattungen zu nennen, die ich klar zuordnen konnte - waren mir bisher meist nur als Schalen und nebenbei auf der Suche nach Desmidiaceen begegnet.

Alle im Folgenden gezeigten Bilder habe ich mit relativ viel Probenwasser unter dem Deckglas aufgenommen. Dieses Vorgehen erlaubt natürlich keine besonders hohe Auflösung, lässt aber den Schalenamöben so viel Freiraum, dass viele von ihnen nach einiger Zeit und bei möglichst geringer Intensität der Beleuchtung ihre Pseudopodien/Filopodien ausstrecken.

Abb. 1: Neben beschalten Amöben war diese Pinnularia mit elegant geschwungener Raphe in den Proben reichlich vertreten.

Abb. 2: Difflugia, möglicherweise D. bacillifera, Schale bestehend aus mineralischen Partikeln und Diatomeenschalen bzw. deren Bruchstücken.

Abb. 3: Nebela cf. collaris, rechte Teilabbildung: kV=kontraktile Vakuole, Nu=Nukleus.

Abb. 4: Euglypha ciliata, System der Filopodien, rechte Teilabbildung mit gerade kontrahiertem Filopodium (Zickzack-Form).

Abb. 5: Schalen zweier Euglypha-Arten, sich dachziegelartig überlappende Schuppen.

Abb. 6: Schale von Assulina seminulum, Ölimmersion 100:1, Feinstruktur der sich überlappenden Schuppen.

Abb. 7: Schale von Nebela cf. collaris, ebenfalls Ölimmersion 100:1, bemerkenswertes Muster, das ich nicht näher deuten kann - Abdrücke von Diatomeenschalen, organische Bildung durch die Amöbe selbst?

Beste Grüße

Ole









SNoK / Stephan Krall

Lieber Ole,

sehr schöne Bilder! In der Tat findet man meist bei beschalten Amöben die leeren Gehäuse, wie bei Schnecken und Muscheln am Strand. Umso interessanter ist es, sie leben zu sehen, sowohl die Schnecken und Muscheln als auch die Amöben. Bei Austern ist es mir das größte Vergnügen, sie lebend zu finden, zum Beispiel am Lister Ellebogen auf Sylt...und dann das Austernmesser in der Tasche. Übermorgen geht's nach Hohwacht. Mal sehen, was ich da finde.

Grüße
Stephan
Mikroskope: Leica DMRB, Leitz Dialux (beide mit DIK)
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Kameras: Sony alpha 6500 und 6400
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Vorstellung: https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=41749.msg308026#msg308026

KayZed

#2
Lieber Ole,

sehr sehenswerte Bilder mit interessanten Schalenstrukturen.

Mich faszinieren immer die regelmäßigen Muster wie z. B. bei Euglypha.
Aber auch Assulina ist eindrucksvoll. Erinnert mich irgendwie an einen Gesteinsschliff eines Konglomerats

Frappierend ist wieder mal der unterschiedliche optische Eindruck im DIK und Hellfeld.

Ein gesundes und erlebnisreiches Mikrojahr wünscht dir
KlausZ

PS: Was bedeutet in deinen Bildunterschriften "Komposit"?
Zeiss Stemi 508
Zeiss Jenaval Kontrast
Nikon Z7

SNoK / Stephan Krall

Lieber Ole, lieber Klaus,

was ich mich immer wieder frage, ist, wie die Amöben diese Schalen genau bauen. Dazu gehört doch in gewisser Weise Intelligenz. Es muss Material ausgesucht und gezielt zusammengesetzt werden, wie das auch Köcherfliegenlarven machen. Was genau passiert da in einem Einzeller, ist das nur Instinkt und ein fest programmierter Bauplan? Ich finde ohnehin, dass der Begriff "Einzeller" bei den Protozoen in die Irre führt. Das sind komplexe Tiere, die nur nach der allgemeinen Definition Einzeller sind. Gibt es eigentlich Videos, wie Schalenamöben ihre Schalen bauen?

Grüße und auch von mir ein spannendes neues Jahr,
Stephan
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Ole Riemann

Lieber Stephan, lieber Klaus,

danke für Eure netten Rückmeldungen. Klaus, DAS war die Assoziation, die ich auch hatte, aber nicht benennen konnte: ein Gesteinsdünnschliff im Durchlicht. Soweit ich weiß, Stephan, gibt es experimentelle Untersuchungen zum Gehäusebau bei einigen Schalenamöben. Bin gerade unterwegs, vielleicht finde ich in meinen Unterlagen zuhause noch weiterführende Literaturangaben. Eine gute Zeit an der Ostsee!

Schöne Grüße

Ole

SNoK / Stephan Krall

#5
Lieber Ole,

ich habe eben selbst gesucht, und einen ganz alten Film von 1969 über die Teilung von Euglypha rotunda beim IWF gefunden:

https://av.tib.eu/media/15913

Eine spannende Sache. Die Amöbe gibt offenbar die Plättchen gleich mit bei der Teilung, und sie ordnen sich auf der Oberfläche des neuen Individuums an. Auf der Webseite gibt es noch andere Filme, die ebenso spannend sind.

Wie die Amöbe diese Plättchen im Inneren vorfabriziert, steht in einem Artikel von 1972, von dem ich aber nur den Abstract lesen kann:

https://link.springer.com/article/10.1007/BF00307088

Kannst Du mir den gesamten Artikel schicken? Du müsstest doch über die Uni rankommen.

Grüße
Stephan
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KayZed

#6
Lieber Stephan,

der Schalenbau der Amöben ist eine spannende Frage und die Steuerung dieses Ablaufs sicher nicht völlig geklärt.
Ob man da gleich von "Intelligenz" sprechen kann, wäre ich etwas vorsichtig. Hängt natürlich auch davon ab, was man unter diesem Begriff versteht. Mittlerweile wird er ja etwas inflationär auch von manchen Botanikern bei Pflanzen benützt.

Bei Schönborn (Beschalte Amöben) wird von einem älteren Experiment Rhumblers berichtet.

https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=33059.0

Ich habe den Auszug aus dem link zur schnelleren Lesbarkeit mal kopiert:

,,Rhumbler (1898) hat die Gesetze der Bildung der Fremdkörperschalen wiederum am Modell vorgeführt. Früher schrieb man den Difflugien eine besondere architektonische Fähigkeit zu; Rhumbler aber zeigte, daß hier rein physikalische Gesetze beteiligt sind, die auch am leblosen Körper wirksam sind. Er verrieb Chloroform [oder Öl<ergänzt R.S.>] mit winzigen Splitterchen und drückte dieses Gemisch in Form eines kleinen Tropfens durch eine Kapillarpipette in ein Schälchen mit Wasser. Schon nach einer sehr kurzen Zeit ordnen sich die Splitter zu einem lückenlosen Gehäuse um den Tropfen..... .
Rhumbler ahmte auf künstlichem Wege fast alle Fremdkörperschalen der Testazeen nach, ja, viele seiner künstlichen Gehäuse übertreffen an Schönheit noch die natürlichen.
Die Testazeen treffen für den Bau ihrer Schalen keine qualitative Auswahl unter den Xenosomen. Nur die Teilchengröße spielt eine Rolle, bedingt durch die Weite der Schalenöffnung und durch das Verhältnis der Kohäsion der Oberfläche zur Adhäsion der Teilchen. Die Kohäsion der Oberfläche muß immer größer sein als die Adhäsion zu den Teilchen. Aus diesem Grunde trafen Rhumblers Öltropfen auch schon eine Auswahl unter den angebotenen Bauelementen. Daher ist aber die Natur der der Fremdkörper kein systematisch vererbbares Merkmal. Die Testazeen bauen mit dem Material, das ihnen zur Verfügung steht."

Nun, diese physikalisch-mechanistische Erklärung ist sicher nicht ausreichend, weil sie die endogenen Steuerungs- und Informationskanäle nicht berücksichtigt. Es gibt auf Zellebene gewiss genetische "Schalter", die das Aufnehmen von Fremdmaterial auslösen. Im oberen link findet sich gleich darunter eine interessante Zeichnung wie eine Difflugia-Amöbe nach der Teilung exogenes Material einsammelt, ein Vorgang, der in dieser Phase wohl endogen induziert sein muss.

Darüberhinaus zeigt der Film deines links eindrucksvoll wie sich auf der Oberfläche der neu entstehenden Euglypha-Zelle die Silikatplättchen schuppenartig anlagern. Hier könnte man durchaus eine Selbstorganisation der Materie in der Folge von Adhäsions- und Köhäsionskraften vermuten. Ich würde ebenso annehmen, dass die Muster der Anlagerung von Fremdteilchen auf der Zelloberfläche nicht unbedingt einem inneren "Programm" oder gar einer "Intelligenz" folgen müssen, sondern sich eher aus der Struktur und Oberfläche der Teilchen ergibt.

Oles wunderschönes Bild der Nebela-Schale hat mich auch deshalb an ein Gesteinskonglomerat erinnert, weil das Teilchen-Muster eigentlich regellos ist und lediglich nach den Möglichkeiten der vorhandenen Formen die Lücken optimal ausfüllt. Ähnlich ist das bei Brekzienkonglomeraten auch der Fall.

Herzliche Grüße
KlausZ

Zeiss Stemi 508
Zeiss Jenaval Kontrast
Nikon Z7

SNoK / Stephan Krall

Lieber Klaus,

danke für den Hinweis. In dem Strang stehen noch weitere interessante Informationen (Penard gegen Rhumbler). Ich habe auch noch einen kleinen Abschnitt in der Frank-Kosmos Reihe über Wechseltierchen entdeckt, den ich anhänge.

Grüße
Stephan
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SNoK / Stephan Krall

Lieber Ole, lieber Klaus...und der Rest,

ich habe mir die Filme vom IWF jetzt noch mal genauer angeschaut, und entdeckt, dass einer dabei ist, der eigentlich alle Fragen, oder vielleicht fast alle, beantwortet. Er ist vertont und beschreibt die Teilung der verschiedenen Schalenamöben. Tolle Bilder von 1969! Fazit ist, dass alle Schalen bereits vor der Teilung angelegt sind, und bei der Teilung dann ausgebildet werden, bevor sich die Tiere trennen. Es ist also nicht so, wie ich dachte, dass sich eine neue Amöbe erst die Einzelteile für die Hülle suchen muss, und sich diese dann baut.Ich nehme das mit der Intelligenz dann erstmal zurück. Hier der Link zum Film:

https://av.tib.eu/media/10651

Das heißt aber, dass bei den Schalen, die z. B. aus Kieselalgen sind, diese vorher von dem Muttertier aufgenommen worden sein müssen, oder für die Teilung extra aufgenommen werden. Spannend.

Grüße
Stephan
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KayZed

Hallo Stephan,

danke für deine Recherche.
Es scheint also doch eher ein endogener "Bauplan" zu bestehen.

LG KlausZ
Zeiss Stemi 508
Zeiss Jenaval Kontrast
Nikon Z7

Bernd

Hallo Ole,

von deinen hervorragenden Fotos finde ich das Bild 6 mit der Assulina-Schale besonders interessant, aber auch etwas rätselhaft. Diie Schale besteht aus ovalen Platten. Das Sechseckmuster kommt duch die Überlappung der ovalen Platten zustande (siehe Abbildung aus Cash (1915) The British freshwater Rhizopoda and Heliozoa, Vol 3, p. 53) . Interessanterweise sieht man auf deinem Foto aber auch, scheinbar in der gleichen Ebene, ovale Schuppen. Das sind aber ganz eindeutig nicht die Schuppen, die das Sechseckmuster bilden. Ist die Schale so stark zusammengedrückt, daß das die Schuppen der anderen Schalenseite sind? Und wenn ja, warum zeigt sich dort kein Sechseckmuster, obwohl ja deutlich zu erkennen ist, daß sich die Platten überlagern?

Viele Grüße
Bernd

Gerd Schmahl

Hallo Bernd,
ich denke, dass Deine Zeichnung zumindest für die gezeigte Art nicht ganz stimmt. Für mich sieht es so aus, als ob die ovalen Schuppen sich nicht auf der ganzen Fläche des Randes berühren, sondern im Bild nach oben über die "Klebeflächen" hinaus stehen. Ich habe mal zwei Schuppen, wie ich sie sehe, eingezeichnet (gelb) und die gemeinsame "Klebefläche" (grün) dazu. Das Gehäuse ist ja starr. Die Schuppen werden im Körper gebildet und bei der Teilung an der Oberfläche irgendwie "verklebt", vielleicht mit Proteinen.
Fossilien, Gesteine und Tümpeln mit
Durchlicht: Olympus VANOX mit DIC, Ph, DF und BF; etliche Zeiss-Jena-Geräte,
Auflicht: CZJ "VERTIVAL", Stemi: MBS-10, CZJ SMXX;
Inverses: Willovert mit Ph

Apochromat

#12
Hallo,

Ole´s Bilder sind wieder sehr schön. Vor allem Bild 3 links und Bild 7 gefallen mir sehr.

Da ich die Wissenschaftler kannte (Netzel, Hülsmann, Grell, Meisterfeld, Heunert, Seeack, Schönborn), die sich in Deutschland mit den cytologischen Vorgängen bei den beschalten Amöben beschäftigt haben, gebe ich mal hier wieder, was mir noch aus ihren Publikationen und vielen Gesprächen erinnerlich ist. Immerhin war der Vorgang der Schalenbildung bei diesen Amöben das, was diese Männer mit am Meisten faszinierte:

Die in die äußere Membran der noch jungen Tochterzelle eingelagerten Strukturen werden oft im Golgi-Apparat der Mutterzelle gebildet oder dort bevorratet (z.B. Fragmente von Kieselalgen) und mit Hilfe vererbter Vorgänge unter Zuhilfenahme von Mikrotubuli auf die Tochterzelle verteilt und dort nach einem ebenfalls genetisch vorgebenen (nicht genau erforschten) Prozess in die Membranhülle eingelagert. Hier spielen mikrotubuläre Transportvorgänge ebenfalls eine Rolle. Im Nachhinein können dann auch Steinchen und Schalen von Kieselalgen aufgeklebt werden. Die eingelagerten Strukturen (die durchaus ganz verschiedengestaltig sind, von oval bis rechteckig geformt) können hier organisch oder auch anorganisch sein. Es gibt auch Arten die rechteckige doppelbrechende Kristallplättchen (z.B. aus CaCO3) ausscheiden. Das hat der berühmte Protistologe George Deflandre eingehend untersucht. Bei einigen Arten wird auch vermutet, dass die Mutterzelle bereits einen gewissen, im Cytoplasma eingelagerten Vorrat von Schalenfragmenten (der zuvor gefressenen? Kieselalgen) auf die Tochterzelle abgibt (das ist auch in der einen Filmsequenz zu sehen). Die Schalenform folgt physikalischen Gesetzen der Grenzflächenbildung und teilweise werden hier auch Vakuolen, die wiederum mit Mikrotubuli an die "richtigen" Stellen gelenkt werden, zur speziellen Ausformung der groben Hüllfform gebildet. Man kann auch beobachten, dass die Tochterhülle quasi halbfertig blitzartig aus der Mutterzelle ausgestülpt wird, um dann sofort in ihrer endgültigen Form "auszuhärten".

Schade, dass die schönen Filme von Hans- Henning Heunert nur in sehr schlechter Qualität im Internet zu finden sind. Seine Aufnahmen entstanden stets nach Mitternacht, da sich die beschalten Amöben -wie viele andere Protisten- vor allem nachts in den Roh- Kulturen teilen. Gerne benutze er das Apo 40/1,0 Oil Ph3 und das Apo 100/1,32 Oil Ph3. Beide Objektive hatte er bei uns angeregt und die wurden dann auch ein voller Erfolg. Immerhin 1961 die ersten apochromatischen Ph- Ölimmersionen 40:1 und 100:1 überhaupt.


Mit diesem Objektiv wurde Filmgeschichte gemacht

Im DIK benutze er oft das Plan 100/1,25. Das Plan 100x/1,25 ist ja in Wirklichkeit fast ein Planapo 100x/1,25 gewesen. Heunert´s Präparationstechniken waren mehr als ausgefeilt und diese näher zu beschreiben würde mehrere Buchseiten füllen.




Die beeindruckensten Aufnahmen von beschalten Amöben in Teilung hatte Hans- Henning Heunert im IWF (in Göttingen) mittels kleinster Mikroküvetten die er aus Deckglas- Bruchstücken angefertigt hatte, gemacht: Die Arcellen wurden auch auf Agar mit filtriertem Mooswasser kultiviert und dann abgespült und in solche speziellen Küvetten gegeben. Heunert musste erst mit einem STEMI III b kontrollieren, auf welcher Küvetten- Seite die Arcellen saßen. Dann wurden die Deckgläschen- dünnen Küvettenseiten mit den darauf sitzenden Arcellen seitlich mit schiefer Beleuchtung mit dem Objektiv Plan 16/0,35 abgefilmt. Zuvor wurde oben noch ein Deckglas mit Luftblase zum Abschluß des Flüssigkeitsmeniskus aufgelegt.  Er hatte aber auch DIK und Ph benutzt, wenn dies möglich war. Die Rohkultur von Schalenamöben auf Wasseragar hatte ja bereits Karl Belar in den 1920er Jahren am Kaiser- Wilhelm- Institut für Biologie (heute MPG) in Berlin-Dahlem "ausgetüftelt". Das grüne, früher recht bekannte KOSMOS- Bändchen aus der Reihe "Einführung in die Kleinlebewelt" von Max Mayer "Kultur und Präparation der Protozoen" ist ein nahezu reiner Abschrieb der von Karl Belar publizierten Methoden (in Tibor Peterfi: Methoden der wissenschaftlichen Biologie, Band 1, Julius Springer Berlin 1928).

Die Thecamöben- Kulturen von Hans- Henning Heunert waren keine echten Reinkulturen. Manchmal wurde auch noch mit Algenkulturen (die Sammlung von Algenkulturen SAG ist ja nur 5 Autominuten vom IWF entfernt gelegen) nachgefüttert. Meist mit Chlorella. Danach mussten die Amöben wieder etwas hungern, damit die gefressenen Algen beim Filmen nicht störten.

Hans- Henning Heunert konnte nach dem Krieg sein Biologie- Studium nicht fortsetzen. Irgendwie war er seit Anbeginn der Arbeit des IWF 1956 in Göttingen als biologisch arbeitender Kameramann mit dabei und wurde später die Schlüsselfigur der Biologischen Abteilung dort. Hans- Henning Heunert wurde 1978 für sein mikrokinematografisches Lebenswerk mit der Ehrendoktorwürde geehrt. Seine Filme haben dem IWF zum Weltruhm verholfen und werden bis heute im Biologie- Unterricht in der Oberstufe verwendet. Auch der Bundespräsident Walter Scheel und später Helmut Schmidt (Loki Schmidt war ja auch Biologin) haben ihn -"den berühmten Kameramann"- in den 1970er Jahren im IWF in Göttingen besucht.






Kurt Michel mit Kameragetriebe vor dem Schnittmodell eines schwarzen Phomi I in seinem Büro in Oberkochen

Kurt Michel´s große Mikro- Kino- Kamera, die er in den 1950er Jahren bei ZEISS-WINKEL mit Hans- Henning Heunert entwickelt hatte (mit der Heunert aber nie viel "Protozoologisches" gemacht hatte, da er das inverse Planktonmikroskop für diese Zwecke besser gebrauchen konnte) habe ich von IWF geerbt und diese wird im Deutschen Optischen Museum in Jena zu sehen sein, nach dessen Wiedereröffnung im nächsten Jahr. Leider gibt es das IWF in Göttingen nicht mehr .....


Das Institut für den Wissenschaftlichen Film im Nonnenstieg 72 in Göttingen nach der Abwicklung, vor der endgültigen Schließung


LG
Michael




Ole Riemann

Liebe Kollegen,

herzlichen Dank für die rege Diskussion - es freut mich sehr, dass die Bilder einen fachlichen Austausch in mehrere Richtungen angestoßen haben. Manche Fragen wurden ja schon beantwortet, und dies besser, als ich es könnte - habt Dank für die interessanten Literaturangaben und Hinweise auf Filmsequenzen des IWF.

@Stephan: Wenn ich wieder im Uni-Netz bin, versuche ich, den von Dir genannten Artikel zu bekommen.

@Bernd, Gerd: Eure Beobachtungen zur Struktur des Schuppenkleides bei Assulina haben mich auch beschäftigt. Die räumlichen Verhältnisse sind mir im Detail nicht klar. Mit Bestimmheit kann ich sagen, dass die Schale nicht gepresst war (i.e. die andere Schalenseite hindurchschimmerte), die Schichtdicke des Präparates war hierfür wegen der Detritusteilchen viel zu hoch. Manche der Hellfeldaufnahmen  habe ich deswegen mit dem Olympus UV FL 40/0,85 gemacht, das einen Deckglaskorrekturring hat. Meist war die Einstellung um 0,20 anstatt 0,17.

@Klaus: "Komposit" im Dateinamen heißt lediglich, dass ich zwei Teilabbildungen zusammengefügt habe.

Mein ganz besonderer Dank an Michael für die vielen hochinteressanten Hintergründe auch zur ZEISS- und IWF-Historie. Ich bin mir sicher, dass Deine anekdotenhaften Schilderungen nicht nur für mich fasziniernd sind. Gerne mehr davon!

Schöne Grüße

Ole






KayZed

Hallo Michael,

deine fundierten Ausführungen sind sehr aufschlussreich.
Ich lasse mal den technischen Teil beiseite und beziehe mich nur auf den biologischen.

Der Film zeigt ja sehr eindrucksvoll wie die Schalenteile von der Mutter- in die Tochterzelle verteilt werden und an deren Oberfläche anlagern. Dass hier Mikrotubuli am Werk sind kann man sich gut vorstellen. Die Frage bleibt immer noch, welcher Steuerung die Anlagerung an der Zelloberfläche folgt. Gibt es da Hinweise auf einen genetisch gelenkten Vorgang oder könnte die Anlagerung einfach den physikalischen Gesetzen an Grenzflächen unterliegen?
Noch interessanter ist die Schalenbildung bei Fremdteilchen. Sie werden ja nicht in der Mutterzelle synthetisiert, sondern müssen naheliegenderweise vorher aufgenommen worden sein, wie etwa Diatomeenbruchstücke. Ist das nur eine Art "Abfallentsorgung" unverdauter Nahrungsreste oder steckt hier doch eine "gezielte" artspezifische Aufnahme von Xenosomen dahinter, um Schalenmaterial für die Tochtergeneration zur Verfügung zu haben?

Ole hat uns jedenfalls ein wunderbares Beispiel geliefert, wie man mit einfachen Beobachtungen bzw. schönen Bildern die biologische Neugierde entfachen kann.

LG KlausZ
Zeiss Stemi 508
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Nikon Z7