Winkel - Zeiss Polarisationsmikroskope Katalog um 1946

Begonnen von Hugo Halfmann, Oktober 29, 2023, 21:50:46 NACHMITTAGS

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Hugo Halfmann

#16
Hallo Michael,

ZitatVielleicht wurde Dein Stativ ja erst nach 1945 aus noch vorhandenen Beständen zusammengebaut. Hast Du die Seriennummer des Stativs? Mit etwas Glück kann dann das Alter festgestellt werden.

Das Mikroskop hat die Nummer 74339 und wurde laut Fr. Marte Schwabe 1946 hergestellt, weitere Angaben habe ich vom Zeiss Archiv leider nicht bekommen.



.
Die Verkäuferin in Neustadt am Rübenberge hat mir gesagt, daß ihr Großvater das Mikroskop im Salzbergwerk Asse (ja, das vermeintliche "Endlager" für Atommüll) im Labor genutzt hat und später, wahrscheinlich bei Einstellung des Bergbaus, mitnehmen durfte.

Der Fuß hat mich - und auch Fr. Schwabe - irritiert und ich vermute mittlerweile auch, daß das Mikroskop - direkt nach dem Krieg - aus noch vorhandenen Teilen zusammengesetzt worden ist. Da ich diese merkwürdige Kombination von Fuß und "Reststativ" nirgendwo finden konnte, habe ich dann den Beitrag hier geschrieben.

Interessant wäre in Zusammenhang mit dem Herstellungsjahr auch, wie das Mikroskop, dessen Kaufpreis sicher nicht gering gewesen sein wird, bezahlt worden ist.
Die Reichsmark war 1 Jahr nach der Kapitulation des Deutschen Reichs wertlos, die Bevölkerung hungerte, der Schwarzmarkt blühte und eine gängige Währung waren Zigaretten. Kippen oder Salz wird das Zeiss-Werk ja wohl nicht genommen haben...

Jetzt ist die Katze ganz aus dem Sack, ich wollte - auch mit den hier gewonnenen Informationen - einen Beitrag für die Rubrik "Mikroskope" schreiben und dabei natürlich auch Neues präsentieren. Mach ich dann aber trotzdem noch, auch wenn´s dann ein alter Hut ist!
Viele Grüße aus dem Bergischen Land

Hugo Halfmann

Apochromat

#17
Lieber Hugo,

das kann ich Dir beantworten.

Wir hatten bei ZEISS in Berlin einen langjährigen Servicetechniker der direkt nach der Befreiung Deutschlands 1945 bei WINKEL- ZEISS in Göttingen seine Lehrlingsausbildung mit etwa 14 Jahren startete. Anfänglich bestand die Ausbildung lediglich aus Mathematik- und Physikunterricht bei Arthur Ehringhaus, weil es ja nichts gab, an das man die Lehrlinge heranlassen wollte. Selbst die Beschaffung von Papier und Bleistift war schwierig. Den Servicetechniker habe ich in Berlin noch kennenlernen dürfen und natürlich gründlich ausgefragt.

Alle Menschen hatten Hunger (der Hungerwinter 1945/ 46 soll besonders schlimm gewesen sein) und froren. Im Göttinger Werk war nur noch eine Handvoll von Menschen übrig (Dr. Arthur Ehringhaus und Dr. Kurt Michel waren zwei davon). Aber die Firma war unbeschädigt und intakt, weshalb die Amerikaner den Dr. Michel bei einem Zwischenhalt einfach in Göttingen abgeworfen hatten, mit Frau Margarete und den zwei Kindern, Hans und Ursula.

Bezahlt wurde in dieser Zeit mit Kohlenbriketts, Schmuck und Dauerwurstwaren, neben Zigaretten oder Kaffee, Honig, Mehl, Schokolade und Konserven. Die Fa. WINKEL- ZEISS hatte auch gar keinen Vertrieb mehr. Der wurde dann Anfang 1950 von Jena aus wieder aufgebaut, vom damaligen Vertriebsleiter, Herrn Otto Birkenbeil. Daraus ging dann nach der Entfremdung von ZEISS Jena und ZEISS Göttingen 1951 die Fa. Werner Jähnert GmbH und Co. KG hervor, die zunächst mit im Werk untergebracht war.

Der Erstbesitzer Deines Mikroskops ist sicher ganz einfach in der Königsallee direkt vorstellig geworden und anscheinend wurden sich beide Seiten handelseinig. Ganz offiziell, sonst hätte Frau Schwabe ja gar keinen Eintrag in den Nummernbüchern gefunden.

Die Mettwürste ..... Die waren im ZEISS- Werk in Göttingen noch länger wichtig: Die Lehrlinge, die aus bäuerlichen Familien aus dem Göttinger Umland stammten, konnten sich einer etwas milderen Behandlung durch die sehr strengen Ausbilder sicher sein. Die bekamen dann eben mal eine Eichsfelder Mettwurst zugesteckt. Sonst musste man zur Strafe und Besinnung auch schon einmal eine Woche in der Lackiererei arbeiten (jedes schwarze STANDARD- Stativ wurde ja 8 mal lackiert).

LG
Michael

beamish

Hallo Hugo,

ich hoffe doch, daß du uns dieses Mikroskop nocheinmal vollständig vorstellen wirst.
Ich hatte gerade einen ähnlichen Fall eines Leitz-Mikroskops, das von Leitz direkt an einen Mitarbeiter 1947 für 80 Reichsmark verkauft wurde (Rechnung liegt vor). Der hat sicher nicht in Salamiwährung bezahlt.
Dein Stativ hat übrigens nach der englischen Ausgabe des Gesamtkatalogs von 1934 in der Grundausstattung 87 Pfund und 7 Shilling gekostet. Leider weiß ich nicht, wieviel das 1934 in RM war.

@Michael: der Hungerwinter war 1946/47.

Grüße
Martin
Zeiss RA mit Trinotubus 0/100
No-Name China-Stereomikroskop mit Trinotubus
beide mit Canon EOS 500D

Apochromat

@beamish: Was das Hungern angeht, da verlasse ich mich lieber auf das Gedächtnis meiner Mutter als auf Google. Es wurde ja schon lange vorher gehungert und das bis zur Währungsreform.

Die Fa. WINKEL war ja in den Jahren 1945 - 1950 in einer viel schlechteren Lage (kein Personal, die unklare Beziehung zum Mutterkonzern in Jena, der ja komplett demontiert war) als E. LEITZ (keine Komplett- Demontage etc.), die ja auch viel früher damit anfangen konnten, wieder schöne Mikroskope zu bauen als ZEISS. Wie gesagt in Göttingen gab es nach dem Krieg auch nicht einmal mehr einen Vertrieb. Der erfolgte ja auch zum großen Teil vor 1945 über Jena.

Gruß

Michael

beamish

Hallo Michael,

natürlich wurde schon vorher und auch nachher gehungert! Der Winter 46/47 war aber zudem noch besonders kalt:
https://www.deutschlandfunk.de/der-hungerwinter-neunzehnhundertsechsundvierzig-100.html

Gruß,
Martin
Zeiss RA mit Trinotubus 0/100
No-Name China-Stereomikroskop mit Trinotubus
beide mit Canon EOS 500D

Dünnschliffbohrer

Hallo Hugo und Mitlesende,

ich habe genau das gleiche Stativ, wohl auch aus der Zeit stammend, kurz bevor die Standart-Modellreihe erschien. Ich dachte immer, das die es bei Winkel genauso gemacht hätten wie bei Leitz: Nämlich das in der Nachkriegszeit erst einmal die gleichen Modelle wie in der Zeit vor der "Befreiung" weitergebaut wurden. Nur eben mit einem dem veränderten Zeitgeschmack angepasstem Stativfuss. Ich glaube eigentlich weniger, dass es sich um aus Resten zusammengestückelte Instrumente handelt. Wie sieht es denn bei den kleineren Stativen im Vergleich: Vorkriegszeit / nach der "Befreiung" aus? Pol-Stative sind ja selten, aber entsprechende kleinere biologische Stative hat ja vieleicht hier jemand in seiner Sammlung, an denen man die Stativfüsse miteinander vergleichen könnte.

Bei der Bestimmung als Stativ IV bin ich mir allerdings noch nicht restlos sicher, weil es ja auch noch andere sehr ähnliche Stativ-Varianten gab (V., VI.), von denen ich aber keine Abbildungen habe. Aufgrund der wohl am häufigsten nachgefragten Modellvariante IV scheint es mir aber trotzdem auch ohne festen Beweis am wahrscheinlichsten, dass es sich bei unseren Modellen am ehesten genau um diesen Typ handelt.

Frage in die Runde: hat jemand passende Okulare dafür? Meins hatte nämlich nur ein Fremdokular von ROW. Und den Originalpolarisator hat wahrscheinlich erst recht keiner in seiner Kramkiste?

Allen noch einen schönen Sonntag!

"Und Gott sprach: Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei; und er schuf um ihn Laubmoose und Lebermoose und Flechten und ein Mikroskop!"
[aus: Kleeberg, Bernhard (2005): Theophysis, Ernst Haeckels Philosophie des Naturganzen,  S. 90]

beamish

Das Stativ V M unterscheidet sich im Katalog von 1939 vom IV M nur durch eine Kreuztisch. Das VIB ist aber ein eigenes Stativ, das im Katalog als "Großes mineralogisches Stativ VI M mit synchroner Bewegung" bezeichnet wird (Anhang). Abgebildet ist es dort leider nicht. Ein Exemplar von 1925 gibt es aber in der Sammlung Mappes:
http://www.museum-optischer-instrumente.de/winkel_zeiss_28353.html

Grüße
Martin
Zeiss RA mit Trinotubus 0/100
No-Name China-Stereomikroskop mit Trinotubus
beide mit Canon EOS 500D

Apochromat

#23
Hallo,

mein Stativ war wahrscheinlich einmal das V M mit der optionalen synchronen Drehung der Polare/ Nicols (über einen damals sehr üblichen Stangenmechanismus), bis mir jemand die Stangen weggefunden hatte.   :(   
Das hier gezeigte Instrument war das (eines der) Mikroskop (e) von Arthur Ehringhaus und ist gleichzeitig das Einzige erhaltene der von ihm benutzten Instrumente. Arthur Ehringhaus war der frühere wissenschaftliche Leiter der Fa. Rudolf Winkel, ein berühmter Mineraloge (der Gegenspieler von Max Berek) und auch der ehemalige Bewohner meines Arbeitszimmers im Werk in Göttingen. Damals hieß das "Privatkontor Dr. Ehringhaus". Ich zeige das wunderbare Mikroskop im POL-Kurs und die Gäste sind immer wieder überrascht von der guten Bildqualität und dem schieren Gewicht des gusseisernen Stativs, dass ein erwachsener Mann einhändig kaum hochheben kann.

Beim JENAPOL b für den feinstrukturell arbeitenden Mediziner und Biologen mit dem wohl raffiniertesten de Senarmont- Mess-System (achromatisiert, mit Innenablesung der Analysatorwinkelwerte im Großfeldsystem und digital auslesbar über RETARMET 2), das es je gab, hatte es auch eine Variante mit x- y-Bewegung über einen auf einen Drehtisch gesetzten Kreuztisch gegeben,. Mann vergaß nichts bei ZEISS. Wer einmal durch ein JENAPOL mit echten, wirklich so etwas von komplett völlig spannungsfreien Objektiven GF- Planapochromat POL 50x und 100x geschaut hat, schaut nichts anderes mehr an (durch nichts anderes mehr durch). Das hat alles Joachim Bergner in Jena bei ZEISS entwickelt. Das zeige ich auch ab und zu im Kurs. 

Hier ein paar Bilder des Mikroskops:




olaf.med

#25
Lieber Michael,

zu dem schönen Winkel Polarisationsmikroskop, das Du gezeigt hast, würde ich gerne noch ein paar historische Anmerkungen machen.

Die Grundkonzeption dieses Geräts geht auf Ernst Anton Wülfing zurück, der 1918 "Ein neues Polarisationsmikroskop und kritische Betrachtungen über bisherige Konstruktionen" vorstellte (Abh. der Heidelberger Akad.e der Wiss., 6. Abh., 79 S.). Mehr zu Wülfing hier.

Wülfings Konstruktion wurde "Ausgeführt von R. Winkel, G.m.b.H. in Göttingen" und war das Flaggschiff der Winkelschen Mikroskop-Palette. Es wurde über einige Jahrzehnte mit nur erstaunlich wenige Veränderungen gebaut, was zeigt wie innovativ Wülfings Konstruktion war. Es war in dieser Zeit sicher eines der weltbesten Polarisationsmikroskope.

Unten sieht man einen zeitgenössischen Stich von Wülfings erster Konstruktion (aus Rosenbusch-Wülfing: Mikroskopische Physiographie, E. Schweizerbartsche Verlagsbuchhandlung, 1921) und zwei Bilder eines solchen Instruments. Dieses gehörte einst Hans Schneiderhöhn (1887-1962), einem berühmten Mineralogen und Lagerstättenkundler, der maßgeblich an der Entwicklung der Auflichtmikroskopie (Erzmikroskopie) beteiligt war. Man erkennt deutlich die Stange, die Polarisator und Analysator zur synchronen Drehung verbindet, und die bei Deinem Gerät leider fehlt.

R&W.jpeg

20 1.jpg

20 3.jpg

Herzliche Grüße,

Olaf

Gerne per Du!

Vorstellung: http://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=4757.0

... und hier der Link zu meinen Beschreibungen historischer mineralogischer Apparaturen:
https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=34049.0

Apochromat

#26
Lieber Olaf,

vielen Dank für die wunderschönen Fotos und die Erklärungen. Ich dachte immer, das Ernst Schneiderhöhn eher mit Max Berek zusammengearbeitet hatte und das die auch miteinander befreundet waren.

Die hintere Abstützstange für die Verwendung als Horizontalmikroskop war an meinem Gerät nie montiert. Mein Polarisator ist auch bereits ein Folienpolarisator und kein Ahrensprisma mehr.

Mein Mikroskop steht immer neben dem Wülfing- Rosenbusch :). Da fühlt es sich wohl.

Ja dies Stange ist leider weg und die sah so ähnlich aus, wie bei Deinem Gerät. Es war auch in einem ganz schlimmen Zustand als ich es bekam. Aber da bin ich ja kein Fachmann, auf Deinem Gebiet der Geräterekonstruktion.

LG

Michael

Ich meinte Hans Schneiderhöhn, nicht Ernst. Sein Buch über Erzmikroskopie habe ich auch. Und die erste Hälfte auch gelesen.

Apochromat

#27
Hallo Olaf,

R. FUESS in Berlin- Steglitz hatte das synchrone Drehen der Polare mittels Stange auch, so um 1920. Das sehr gut erhaltene Mikroskop von R. FUESS habe ich irgendwo einmal in einem Mineralienmuseum in Südtirol gesehen. Im Wanderurlaub. Völlig unerwartet. Meine Frau hat nur geseufzt, weil sie wusste, dass ich jetzt mindestens 20 Minuten länger durch die Ausstellung brauchen würde, als sie.

LG
Michael

beamish

Das im Eingangsbeitrag von Hugo gezeigte Stativ hat ja hinten im Fuß einen "Stöpsel"(?). Ließe sich der herausnehmen und so eine justierbare Stütze zum Umlegen des Stativs einschrauben?
Zeiss RA mit Trinotubus 0/100
No-Name China-Stereomikroskop mit Trinotubus
beide mit Canon EOS 500D

olaf.med

Lieber Michael,

die Synchrondrehung der Polarisatoren war bei Mineralogen einst sehr beliebt. Sie geht auf einen Vorschlag von A.B. Dick zurück und wurde erstmals von Swift in London 1888 ausgeführt. Beispiele solcher wunderschöner viktorianischer Mikroskope sieht man hier. Bei ihnen besteht der Drehmechanismus aus zwei identischen Zahnradgetrieben, die über eine lange Stange bzw. ein langes Ritzel gekoppelt sind. Dieses Verfahren wurde von anderen Herstellern übernommen, z.B. von Voigt & Hochgesang / Dr. Steeg & Reuter hier oder Leitz hier.

Die vereinfachte Synchrondrehung ohne Zahnradgetriebe wie bei Deinem Mikroskop geht auf Sommerfeld zurück und wurde erstmals bei dem Mikroskop nach Souza-Brandáo von Fuess im Jahre 1903 verwirklicht. Besonders für U-Tisch-Messungen erwies sie sich als sehr vorteilhaft und wurde tatsächlich noch bis Mitte des 20. Jahrhunderts für solche Zwecke angeboten, z. B. für das Leitz Dialux und das Zeiss Standard. Bei dem sehr seltenen und speziellen Theodololit-Mikroskop von Fuess war diese Drehung konstruktionsbedingt sogar zwingend erforderlich, wie man hier sieht.

Herzliche Grüße,

Olaf 
Gerne per Du!

Vorstellung: http://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=4757.0

... und hier der Link zu meinen Beschreibungen historischer mineralogischer Apparaturen:
https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=34049.0